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Der Schatz des Blutes

Der Schatz des Blutes

Titel: Der Schatz des Blutes Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jack Whyte
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begegnet bin. So ist es nun einmal, und das widert mich an. Genau wie ihr alle bin ich unter Rittern und Kriegern aufgewachsen, und ich habe die Gesetze der Ritterlichkeit schon gelernt, als ich kaum laufen konnte. Zur selben Zeit habe ich die Gesetze Gottes und der Kirche gelernt. Doch ich war dem Knabenalter kaum entwachsen, als ich erfahren musste, dass außerhalb meines Familienkreises nur wenige Menschen auf Gottes Gesetze achteten. Die meisten – Lehnsherren, Ritter und Soldaten – hielten sich nur an Gesetze, die die Macht hatten, sie in dieser Welt zu strafen oder zu schädigen. Die andere Welt überließen sie ganz den Priestern. Und die Priester kümmerten sich nur um ihr eigenes Wohlergehen. Sie appellierten zwar an die Gutwilligkeit der anderen, aber nur, wenn es ihnen selbst handfeste Vorteile brachte: Geld, Macht und Ansehen.«
    Er holte tief Luft und atmete wieder aus.
    »Und dann wurde ich nach Jahren zunehmender Entmutigung in diesen Orden der Wiedergeburt aufgenommen und durfte entdecken, dass Gottes Liebe und mein Glaube auch außerhalb des Regelwerks der Kirche gedeihen können. Das hat mein ganzes Leben verändert, weil ich zum ersten Mal im Leben erkennen konnte, wie sehr das Handeln der Menschen von der Kirche beeinflusst und diktiert wurde – und dass die Kirche heute von korrupten, gierigen Egoisten geleitet wird. Natürlich erwartet man von uns zu glauben, dass die Kirchenväter von Gott gewählt und gesegnet sind. Und man ermuntert uns, den Priestern unsere unsterblichen Seelen anzuvertrauen. Doch wer erzählt uns das? Sie selbst natürlich. Die Priester sagen uns, was wir tun und denken sollen – in allem, was Gott betrifft, aber eigentlich ebenso in allen anderen Lebenslagen. Sie proklamieren Gottes grenzenlose Güte, und sie behaupten, Gottes Stimme in dieser Welt zu verkörpern. Obendrein lassen sie keinen Zweifel daran, dass sie, sollten wir ihnen nicht gehorchen oder glauben, die Macht besitzen, uns zu bestrafen und uns sogar zur ewigen Verdammnis zu verurteilen.«
    Er hielt inne und betrachtete seine Zuhörer, die ihm gebannt lauschten.
    »Brüder, sie verurteilen Menschen zur ewigen Verdammnis. Denkt nach, denn davor schrecken wir ja allzu gern zurück. Die Priester verdammen gewöhnliche Menschen böswillig zu Höllenqualen – weil sie es können, weil sie die Macht besitzen und genießen, das Leben der Menschen zu bestimmen und über ihre Seelen zu verfügen. Und dabei predigen sie Gottes ewige und grenzenlose Gnade. Wer soll ihnen widersprechen, solange alle Welt glaubt, dass sie Gottes Ohr sind?«
    Er atmete einmal tief durch, und dann nahm seine Stimme einen völlig neuen, scharfen Unterton an.
    »Unser Orden hat uns gelehrt, dass wir all das verändern können. Erinnert ihr euch, wie aufregend diese Entdeckung war? Zu erfahren, dass wir eines Tages die ganze Welt zum Besseren verändern können? Die Kirche, wie wir sie heute kennen, wurde von Menschen errichtet, nicht von Gott und nicht von seinem angeblichen Menschensohn Jesus. Natürlich war Jesus ein Mensch. Aber das, was man allgemein für seine Kirche hält, wurde lange nach seinem Tod durch den Nichtjuden Paulus und seine römischen Berater ins Leben gerufen. Doch unser Orden, der Orden der Wiedergeburt in Sion, hält die Hoffnung am Leben, all das eines Tages zu ändern. Nicht durch den Mord an den gottlosen, unwürdigen Priestern, sondern indem wir die Wahrheit, die eigentliche Wahrheit über das, was sich vor einem Jahrtausend hier in Jerusalem zugetragen hat, ans Licht bringen.«
    Sechs Augenpaare hingen an seinen Lippen.
    »Ich hatte das vergessen, meine Freunde. Ich hatte es inmitten des Blutvergießens und der Schreckenstaten nach unserer Ankunft im Heiligen Land aus den Augen verloren. Ich hatte es aus den Augen verloren, weil ich dachte, der Orden selbst hätte uns vergessen. Doch ich habe mich geirrt, und nun, da wir eine Botschaft erhalten haben – und wenn sie noch so merkwürdig klingt –, sehe ich es wieder. Und ich weiß, woran ich glaube. Ich glaube, dass Gott jeden Einzelnen von uns zu einem bestimmten Zweck hierhergebracht hat. Und ich glaube, dass dieser Zweck der Grund dafür ist, warum mir letzte Nacht dieser Plan eingefallen ist. Man bittet uns – oder, wenn ihr so wollt, man befiehlt uns –, die Wahrheit hinter der Überlieferung unseres Ordens aufzudecken. Wenn wir sie gefunden haben, beginnen wir damit, alles wiedergutzumachen, was der wirkliche Verlust des Glaubens – durch die

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