Der Schatz des Dschingis Khan
hörte sie Hufschläge sich nähern, hielt den Atem an und horchte, aber es war wohl nur ein Bote der Mongolen, der in der Nähe der Mulde vorbeiritt, denn der Hufschlag entfernte sich alsbald und auch der Takt der Hufe war viel zu schnell für Ascalon.
Muriel seufzte niedergeschlagen und setzte sich neben dem Hengst, der zu grasen begonnen hatte, auf den Boden. Dann nahm sie den Ring noch einmal in die Hand, schloss die Finger fest darum und richtete all ihre Gedanken an Ascalon.
»Wo bist du? Ich warte auf dich.« Immer wieder sandte sie die Worte aus, aber erst, als sie schon nicht mehr auf eine Antwort hoffte, erreichte sie das vertraute Gefühl, nicht allein zu sein, und etwas, das in ihrem Kopf die Worte formte: Ich komme!
Ascalon! Muriel sprang auf und schaute sich um. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Sie hatte sich nicht getäuscht. Ascalon lebte. Er hatte sie gefunden. Er kam zu ihr! Jetzt konnte es nicht mehr lange dauern, bis sie wieder zu Hause war.
Und dann kam er. Erst im letzten Augenblick hörte Muriel seinen Hufschlag und kaum, dass sie sich umdrehte, sah sie ihn auch schon auf dem Rand der Senke stehen. Die aufgehende Sonne ließ seine seidige Mähne erstrahlen und sie wie pures Gold schimmern. Wieder war es ein Anblick wie im Film. Atemberaubend schön und so überirdisch, dass sie die Geschichte von Tengris Götterpferd fast sogar selbst geglaubt hätte.
Mit vorsichtigen Schritten kam Ascalon den Hang hinunter und stupste sie zur Begrüßung sanft mit den weichen Nüstern an. Alles ist gut, schien er ihr sagen zu wollen und genau das dachte auch Muriel in diesem Augenblick.
»Ich wusste, dass du lebst. Ich wusste es!« Überglücklich schlang sie die Arme um den Hals des Wallachs und schmiegte ihre Wange an sein sonnenwarmes Fell. Einen Augenblick lang genoss sie das Gefühl der Nähe, dann löste sie die Umarmung und sagte voller Tatendrang: »Jetzt aber schnell nach Hause.«
Ascalon schien das ebenso zu sehen, denn er nickte mit seinem Kopf. Trotzdem saß Muriel nicht sofort auf. Eines gab es noch zu tun: Mit wenigen Handgriffen befreite sie den kleinen Hengst von seinem Halfter, gab ihm einen kräftigen Klaps auf das Hinterteil und rief: »Na los, lauf schon! Du bist frei!«
Das ließ sich das kleine Pferd nicht zweimal sagen. Nach kurzem Zögern stieg er mit wirbelnden Hufen, wieherte schrill und preschte im harten Galopp der Steppenpferde davon.
Muriel sah ihm nach, bis er die Hügelkuppe überwunden hatte, dann griff sie in Ascalons Mähne und schwang sich mit einem kraftvollen Satz auf seinen Rücken. Sagen musste sie nichts. Ascalon wusste, was zu tun war. Mit ausladenden Schritten trug er Muriel den Hügel hinauf, fiel oben angekommen nahezu übergangslos in einen bodengewinnenden Galopp und preschte mit wehender Mähne über die Steppe, bis die Welt um Muriel herum zu einem grünen Farbenmeer wurde, in dem es keine Konturen mehr zu geben schien.
Begegnung im Nebel
Durch Finsternis und Kälte trug Ascalon Muriel fast eintausend Jahre zurück in die Zukunft, ohne auch nur einmal innezuhalten. Unter den Blitzen des heftigen Zeitunwetters, das sie auch diesmal wieder heimsuchte, begann sein Fell erneut silbern zu schimmern, während sich ringsherum die magische Lichtkugel bildete, die sie vor den zerstörerischen Kräften in der Sphäre schützte.
Muriel beobachtete das Geschehen ohne Furcht. Nachdem die Reise zu den Mongolen ohne Zwischenfälle verlaufen war, hatte sie neuen Mut und neue Zuversicht gefunden. Die Furcht und die Unsicherheit, die sie vor dem Ritt gespürt hatte, waren verflogen.
Was blieb, war die Erkenntnis, dass sie auf ihren Reisen in die Vergangenheit immer damit rechnen musste, dass etwas schiefging, aber das musste sie auch, wenn sie zu ihrer Mutter oder zu Teresa ins Auto stieg. Und da dachte sie schließlich auch nicht jedes Mal daran, was bei einer Autofahrt alles passieren konnte.
Trotzdem war sie froh, als die Blitzeinschläge nachließen und Ascalons Fell wieder die eigentümliche nussbraune Farbe eines American Sattlebred Horse annahm. Wie selbstverständlich nahm sie zur Kenntnis, dass die dicke Lederkleidung der Mongolen verschwunden war. Sie trug nun wieder die bequemen Klamotten des 21. Jahrhunderts, die sie nach nunmehr vier Zeitreisen sehr zu schätzen gelernt hatte. Gemessen an dem, was die Menschen früher für kratzige und unbequeme Kleidung getragen hatten, erschien ihr selbst der steife Blazer, den sie zu Weihnachten in der Kirche
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