Der Schatz des Störtebeker
denen sich Anführer dieser Seeräuberhorden als »Klaus Störtebeker aus Hamburg« ausgegeben hatten. Da sich die meisten hanseatischen Seeleute sehr gut an die eine oder andere Geschichte über den blutrünstigen Piraten erinnern konnten, spann man so manches Seemannsgarn. Störtebeker, so hieß es, sei gar nicht tot, man habe im Jahr 1401 auf der Elbinsel Grasbrook bei Hamburg den Falschen geköpft. Andere behaupteten, sie hätten ein Piratenschiff gesehen, dessen Kapitän den eigenen Kopf unterm Arm hielt – Störtebeker, so wurde sich erzählt, sei nach seiner Hinrichtung aufgestanden und losgetaumelt, nachdem die Ratsherren ihm versprochen hatten, jeden seiner Spießgesellen freizulassen, an dem er kopflos vorbeilief. War der kopflose Pirat unsterblich, oder befehligte er jetzt gar ein Geisterschiff, um sich an den Hamburgern zu rächen, weil sie ihm ein Bein stellten, um zu verhindern, dass sie alle Piraten wieder freilassen mussten?
Den Rat der Stadt Hamburg aber plagten inzwischen andere Sorgen: Nicht Geister, sondern Menschen aus Fleisch und Blut brachten die Ratsherren im wahrsten Sinne des Wortes in Harnisch. Nachdem sie den einstmaligen ostfriesischen Verbündeten der Vitalienbrüder Keno ten Broke auf ihre Seite gezogen hatten, waren andere Häuptlinge zu Schutzherren der Piraten aufgestiegen. Vor allem Sibet von Rüstringen und Imel Abdena aus Emden taten sich in dieser Hinsicht hervor. Um die beiden Störenfriede zur Räson zu bringen, verbündeten sich die Hanseaten mit Edzard und Ulrich Cirksena von Greetsiel. Ein Heer wurde zusammengezogen, Emden erobert und die Herrschaft der Abdenas gebrochen. Wenig später fand Sibet von Rüstringen seinen Tod in der Schlacht von Bargebur. Der Plan der Hanseaten ging auf. Bald würden ihre Verbündeten, die Cirksena, über den Osten Frieslands herrschen. Und wenn man ein Auge auf sie hatte und ihnen gute Berater zur Seite stellte, würde die handelsstrategisch wichtige Region so etwas Ähnliches wie eine hamburgische Provinz werden.
Zwei Abgesandte aus Hamburg sollten die Geschehnisse vor Ort beobachten und regelmäßig per Boten Bericht erstatten. Der eine, Cort Klinger, befand sich als Vertrauter des Rats vor Ort, der andere, Jan Burchard, war ihm als Beauftragter der Bürgerschaft zur Seite gestellt worden. Die beiden Männer sollten darauf achten, dass die beiden gelegentlich konkurrierenden Institutionen der Hansestadt gleichberechtigt über die bedeutenden außenpolitischen Informationen verfügten.
Jan Burchard war nicht sehr glücklich über diesen Auftrag. Zum einen war er inzwischen in einem Alter, in dem man das Reisen als beschwerlich empfand, zum anderen erinnerte er sich nur ungern an seine Zeit in Ostfriesland, als er Gefangener von Klaus Störtebeker gewesen war. Dass man ihn unter dem Hinweis auf seine Kenntnisse der Örtlichkeiten und Lebensverhältnisse dorthin geschickt hatte, empfand er als Zumutung, sogar als Boshaftigkeit. Aber nachdem er kürzlich einige schwerwiegende geschäftliche Rückschläge erlitten hatte, lockte ihn die Aussicht auf eine großzügige Belohnung nach Abschluss der Mission.
So kam es, dass er der Eroberung von Emden beiwohnte, die Toten der Schlacht von Bargebur zählte und darüber peinlich genau Bericht führte und nun in einem Zelt nahe der Sibetsburg in Bant saß und an einem schweren Anfall von Gliederzerren litt. Sein Mitreisender, Cort Klinger, ein junger Mann von provozierend guter Gesundheit, lag schnarchend auf seinem Lager, während Jan Burchard, auf einem unbequemen Stuhl an einem roh gezimmerten Tisch sitzend, bemüht war, passende Worte für die Beschreibung des Ablebens von Sibet von Rüstringen zu finden. Er durfte den tollkühnen Friesenhäuptling, der sich einer überwältigenden Übermacht von hansischen Söldnern entgegengestellt hatte, natürlich nicht allzu positiv beschreiben.
Fröstelnd brachte er seinen Bericht zu Ende und machte sich an die Beschreibung der aktuellen Verhältnisse. In der Sibetsburg hatten sich der unbelehrbare Häuptling Hayo Harlda und Lubbe Onneken, der auf Rache sinnende Schwager des getöteten Sibet von Rüstringen, mit ihren Getreuen verschanzt. Der größte Teil der Burganlage mit ihrem gartenähnlichen Park und den verschiedenen Wirtschaftsgebäuden befand sich bereits in der Hand der hansischen Söldner. Die Wehrmauer der inneren Burg war nach kurzem Gefecht von den Verteidigern verlassen worden, nur der aus dicken Backsteinmauern gebaute Wehrturm war noch
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