Der Schatz im Silbersee
Auslegung meines Versprechens gezwungen wäre. Ich hoffe, daß uns noch andre und ehrlichere Hilfsmittel zu Gebote stehen werden. Jetzt haben wir es zunächst mit der Gegenwart zu thun.«
»Und da fragt es sich vor allen Dingen,« fiel Davy ein, »ob wir den Roten trauen dürfen. Wird der »große Wolf« Wort halten?«
»Ganz gewiß. Niemals hat ein Häuptling den Schwur gebrochen, bei welchem er das Calumet rauchte. Bis zur Beratung können wir uns den Utahs getrost schlafend anvertrauen. Laßt uns hinab- und zu Pferde steigen. Die Roten rüsten sich zum Aufbruche.«
Knox und Hilton waren von den Indianern auf ihre Pferde gebunden worden. Der erstere, welchen noch tiefe Ohnmacht umfangen hielt, lag lang auf dem Pferde, um dessen Hals man seine Arme gezogen hatte. Die Utahs verschwanden einer hinter dem andern in der Enge des Pfades. Der Häuptling war der letzte; er wartete auf die Weißen, um sich ihnen anzuschließen. Das war ein gutes Zeichen, denn es war das gerade Gegenteil der erwarteten feindseligen Behandlung. Die Jäger hatten geglaubt, daß man sie in die Mitte nehmen und auf das strengste bewachen werde. Nun aber war
anzunehmen, daß der »große Wolf« kein Mißtrauen hege, sondern dem Versprechen Old Shatterhands vollen Glauben schenke.
Als er mit ihnen den engen Indianerpfad zurückgelegt hatte und am Rande des Waldes angekommen war, hatten die Roten ihre Pferde schon unter den Bäumen hervorgeholt und stiegen auf.
Der Zug setzte sich in Bewegung. Die vier Weißen blieben mit dem Häuptlinge am Ende desselben, während die Spitze von einigen Indianern gebildet wurde, welche Knox und Hilton zwischen sich genommen hatten. Das war Old Shatterhand lieb, denn die Roten ritten im Gänsemarsche, weshalb der Zug so lang wurde, daß am Ende desselben das Jammern des nun wieder ins Bewußtsein zurückgekehrten Skalpierten nicht gehört werden konnte.
Jetzt, wo sich die Prairie wieder öffnete, gab es eine weite Fernsicht bis zu den Elk-Mountains hin, bis zu deren Fuß sich die Ebene erstreckte. Old Shatterhand fragte den Häuptling nicht, aber er sagte sich selbst, daß zwischen diesen Bergen das Ziel des heutigen Rittes liege. Es wurde überhaupt nicht gesprochen. Die Weißen beobachteten sogar gegeneinander ein tiefes Schweigen, denn alles Reden wäre unnütz gewesen.
Man mußte warten, bis man am Lagerplatz der Utah angekommen war; dann erst konnte ein Entschluß gefaßt, ein Rettungsplan erdacht werden. -
Zwölftes Kapitel
Auf Tod und Leben
Die Roten schienen es recht eilig zu haben; sie ritten meist im Trabe und nahmen nicht die mindeste Rücksicht auf die beiden gefesselten Gefangenen, deren einer sogar lebensgefährlich verwundet war. Das Abziehen der Kopfhaut ist eine sehr schlimme Verletzung. Man trifft zwar hie und da einen Weißen, welcher skalpiert worden und entkommen ist, aber das sind äußerst seltene Ausnahmen, denn es gehört, abgesehen von allem andern, eine höchst robuste Konstitution dazu, eine solche Verwundung zu überleben.
Die Berge rückten immer näher, und gegen Abend wurden die ersten Ausläufer derselben erreicht. Die Roten lenkten in ein langes, schmales Querthal ein, dessen Seiten mit Wald bestanden waren. Später ging es durch mehrere Seitenthäler, immer bergan, und die Indianer fanden trotz der
eingebrochenen Dunkelheit ihren Weg so leicht, als ob es heller Tag sei. Später ging der Mond auf und beleuchtete die dicht mit Bäumen bewachsenen Felsenhänge, zwischen denen die Reiter sich still und stetig fortbewegten. Erst gegen Mitternacht schien man sich in der Nähe des Zieles zu befinden, denn der Häuptling gab einigen seiner Leute den Befehl, vorauszureiten, um die Ankunft der Krieger zu melden. Schweigend ritten diese Boten davon, den Befehl auszuführen.
Dann kam man an einen ziemlich breiten Wasserlauf, dessen hohe Ufer, als man ihnen folgte, immer weiter auseinander traten, bis man sie trotz des hellen Mondenscheines nicht mehr zu erkennen vermochte. Der Wald, welcher erst zu beiden Seiten fast bis an das Wasser reichte, wich später zurück und öffnete eine grasige Savanne, auf welcher man in der Ferne die Feuer brennen sah.
»Uff!« ließ der Häuptling jetzt zum erstenmal während des Rittes seine Stimme hören. »Dort liegen die Zelte meines Stammes und da wird euer Schicksal entschieden werden.«
»Noch heute?« erkundigte sich Old Shatterhand.
»Nein. Meine Krieger bedürfen der Ruhe, und euer Todeskampf wird länger währen und uns größere
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