Der Schatz im Silbersee
Canon das Bett eines Stromes, welcher seine reißenden Fluten tief und breit in den Colorado ergoß. Dann war die Schlucht wochenlang für jeden menschlichen Fuß gesperrt, und wohl schwerlich konnte ein kühner Westmann oder Indianer es wagen, sich den Wogen auf schwankem, gebrechlichem Canoe anzuvertrauen. Die Sohle des Canon bestand dementsprechend aus einer tiefen Lage
rundgescheuerter Steine, deren Zwischenräume mit Sand ausgefüllt waren. Das gab eine sehr beschwerliche Bahn, denn die runden Steine wichen bei jedem Schritte unter den Hufen der Pferde und ermüdeten die Tiere so, daß man von Zeit zu Zeit Halt machen mußte, um sie ausruhen zu lassen. Old Firehand, Old Shatterhand und Winnetou ritten voran. Der erstere widmete der Umgebung eine auffällige Aufmerksamkeit.
Man sah ihm an, daß er nach einer Stelle suchte, welche ihm jedenfalls von Wichtigkeit war.
Da, wo zwei gewaltige Felsenpfeiler sich in der Höhe aneinander lehnten und unten einen Zwischenraum ließen, welcher kaum zehn Fuß breit war und sich nach innen noch zu verengern schien, hielt er sein Pferd an, betrachtete die Stelle mit prüfendem Blicke und sagte: »Hier muß es sein, wo ich damals herauskam, nachdem ich die Ader gefunden hatte. Ich glaube nicht, daß ich mich irre.«
»Und da willst du hinein?« fragte Old Shatterhand.
»Ja. Und ihr sollt mit.«
»Führt der Spalt denn weiter? Es scheint doch, daß er bald zu Ende geht.«
»Wollen sehen. Es ist doch möglich, daß ich mich irre.«
Er wollte vom Pferde steigen, um nachzuforschen; aber der Apache lenkte sein Tier nach der Felsenenge und sagte in seiner ruhigen, sicheren Weise: »Meine Brüder mögen mir folgen, denn hier beginnt ein Weg, auf welchem wir eine große Strecke abschneiden werden. Auch ist er für die Pferde viel bequemer als der Geröllboden des Canons.«
»Du kennst diese Spalte?« fragte Old Firehand überrascht.
»Winnetou kennt alle Berge, Thäler, Schluchten und Risse genau; du weißt, daß er sich niemals irrt.«
»Das ist wahr. Aber daß du gerade diese Stelle kennst, und daß du von ihr behauptest, der Anfang eines Weges zu sein, das ist sonderbar. Kennst du die Gegend, in welche er führt?«
»Ja. Diese Spalte wird erst noch enger; dann verbreitert sie sich sehr, nicht zu einer schmalen Schlucht, sondern zu einer glatten Felsenfläche, welche wie eine riesige Tafel allmählich in die Höhe steigt.«
»Das stimmt, das stimmt! Ich bin also an der richtigen Stelle.
Diese Tafel führt mehrere hundert Fuß nach oben. Und was kommt dann? Weißt du es?«
»Die obere Kante dieser Tafel fällt dann jenseits jäh in die Tiefe, in einen großen, runden Kessel, aus welchem eine schmale, viel gewundene Felsenenge hinauf in das weite, schöne Thal des Silbersees führt.«
»Auch das ist richtig. Bist du in diesem Kessel gewesen?«
»Ja.
»Hast du da vielleicht etwas Merkwürdiges gefunden?«
»Nein. Es ist nichts, gar nichts da zu finden, kein Wasser, kein Gras, kein Tier. Kein Käfer, keine Ameise kriecht über das ewig trockene Gestein.«
»So will ich dir beweisen, daß man doch etwas findet, etwas, was viel kostbarer ist, als Wasser und Gras.«
»Meinst du die Silberader, welche du entdeckt hast?«
»Ja. Es gibt da nicht nur Silber, sondern auch Gold. Dieser Felsenkessel ist es, wegen dessen ich den weiten Ritt unternommen habe. Vorwärts, biegen wir hier ab!«
Sie ritten in den Spalt hinein, einzeln hintereinander, denn es gab nicht Platz genug für zwei. Bald aber traten die Felsenwände weiter und immer weiter auseinander; die gigantischen Pfeiler öffneten sich, und nun lag, mit dem untersten Winkel an die Spalte stoßend, vor den Reitern ein mächtiges, glattes Felsendreieck, welches sich langsam und dachförmig zwischen rechts und links zurückweichenden Wänden erhob und oben gegen den hellen Himmel eine scharfe, schnurgerade Grundlinie bildete.
Da hinauf ging nun der Ritt. Es war, als ob die Pferde ein ungeheures Dach zu erklimmen hätten, doch war die Steigung desselben nicht so bedeutend, daß sie allzu große Schwierigkeiten bot. Es dauerte wohl eine Stunde, ehe der Zug oben ankam, und nun dehnte sich vor den Reitern eine meilenweite Felsenebene nach Westen hin, in deren Vordergrund der tiefe Kessel, von welchem Old Firehand und Winnetou gesprochen hatten, eingesenkt war. Aus diesem sah man von oben aus einen dunkeln Strich links ab nach Süden gehen. Das war die erwähnte Felsenenge, durch welche man aus dem Kessel nach dem Silbersee
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