Der Schatz im Silbersee
irgend eine Art zu ermöglichen sein, in den Besitz des Anzuges zu gelangen, den wir dann untersuchen werden.«
»Schwerlich! Wir kennen ja die Kleidungsstücke nicht, welche er zuletzt getragen hat; sie sind wohl nicht beisammen geblieben, sondern unter mehrere Rote verteilt worden. Wie will man sie wieder zusammenbringen? Die Zeichnung ist verloren, und jener alte Häuptling Ikhatschi-tabli, von welchem Engel sie erhalten hat, ist tot; ein zweites Exemplar ist ja nicht mehr zu bekommen.«
»Ihr vergeßt,« fiel Watson, der frühere Schichtmeister in Sheridan, ein, »daß dieser Häuptling einen Sohn und auch einen Enkel hatte, welche zwar nicht anwesend waren, aber doch eigentlich bei ihm am Silbersee wohnten. Sie werden, wie sich ganz von selbst versteht, das Geheimnis kennen und sind gewiß, ob im Guten oder im Bösen, das ist gleich, dazu zu bringen, es uns mitzuteilen.«
»Ein Indianer läßt sich zu so etwas nicht zwingen, besonders wenn es sich um Gold und Silber handelt; er stirbt lieber, als daß er dem verhaßten Weißen zum Reichtum verhilft.«
»Es fragt sich, ob er uns zu den Verhaßten zählt. Die beiden
»Bären« sind vielleicht den Weißen freundlich gesinnt.«
»Die »beiden Bären?« fragte Old Firehand. »Hießen sie so?«
»Ja doch! Der »große« und der »kleine Bär«.«
»Alle Wetter! Wie konnte mir das entgehen! Jawohl, es fällt mir ein, daß das ihre Namen waren. Wie ist es nur möglich, daß ich nicht sofort an die beiden Tonkawa gedacht habe, welche sich mit uns auf dem Dampfer befanden! Nintropan-Hauey und Nintropan-Homosch, der »große Bär« und der »kleine Bär«, so hießen sie doch!«
»Die zwei Nintropan wohnen droben am Silbersee,« bestätigte jetzt Winnetou. »Ich kenne sie; sie sind meine Freunde und waren den Bleichgesichtern stets gewogen.«
»Wirklich? Das ist gut, sehr gut; denn da ist alle Hoffnung vorhanden, daß sie uns die gewünschte Auskunft geben werden. Leider gibt es jetzt Kampf dort oben, und die Utahs befinden sich zwischen uns und dem See. Wir werden wohl nicht hindurchkommen.«
»Wir brauchen nicht hindurch, nicht an den Utahs vorüber; denn ich kenne einen Weg, welchen noch kein Weißer und noch kein Utah betreten hat. Er ist zwar sehr beschwerlich, aber wenn wir bald aufbrechen, werden wir noch vor ihnen und sogar schon vor den Navajoes oben sein.«
»So wollen wir uns beeilen. Wir haben hier nichts mehr zu thun, als diese Weißen zu begraben, die wir doch nicht hängen lassen können. Das ist bald geschehen, wenn wir sie nebeneinander legen und mit Steinen bedecken. Dann machen wir uns sofort auf den Weg. Ich hoffe das beste, zumal wir so viele Geiseln haben und wir also die Utahs wohl zwingen können, auf friedliche Vorschläge einzugehen.«
Sechzehntes Kapitel
Am Silbersee
Es war eine gewaltige Scenerie, welche sich den Augen der Weißen bot, als sie nach einigen Tagen sich dem Ziele ihres beschwerlichen Rittes näherten. Sie ritten in einem langsam aufsteigenden Canon, an dessen beiden Seiten mächtig hohe Felsenmassen aufstarrten, und zwar in einem Farbenglanze, welcher die Augen beinahe blendete. Kolossale
Sandsteinpyramiden, eine neben der andern stehend, oder sich coulissenartig vor- und hintereinander schiebend, strebten in einzelnen, verschieden gefärbten Lagerungen und Stockwerken zum Himmel empor. Bald bildeten diese Pyramiden gradlinige senkrechte Wände; bald waren sie mit ihren vielen Pfeilern und vorspringenden Ecken, Spitzen und Kanten mit steinernen Schlössern oder phantastischen Citadellen zu vergleichen. Die Sonne stand hoch, schräg über diesen großartigen Formationen und ließ dieselben in einer geradzu
unbeschreiblichen Farbenpracht erglänzen. Gewisse Felsen schillerten im hellsten Blau, andre tief goldigrot; zwischen ihnen lagen gelbe, olivengrüne und im feurigsten Kupfer funkelnde Lagerungen, während in den Furchen ein gesättigt blauer Schatten ruhte. Aber dieses Gepränge, bei welchem dem Beschauer die Augen übergehen wollten, war ein totes; es fehlte ihm das Leben, die Bewegung. Es floß kein Wassertropfen zwischen diesen Felsen; kein Halm fand Nahrung auf dem tiefen Grunde, und an den starren Mauern war kein grünender Zweig, kein einziges Blatt, dessen Grün dem Auge wohlgethan hätte, zu bemerken. Aber daß es zu Zeiten hier Wasser gab, und zwar in gewaltiger Menge, das bewiesen die Spuren, welche zu beiden Seiten deutlich am Gestein zu erkennen waren. In diesen Zeiten bildete der jetzt trockene
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