Der Schatz in den Highlands: Eine Liebesgeschichte im Schottland des 19. Jahrhunderts (Love and Passion) (German Edition)
majestätisch thronenden Burg verweilt, aber eine Übernachtung lag fern meiner finanziellen Mittel. So blieben mir nur drei Stunden Aufenthalt, die ich nutzte, um beeindruckt durch die Royal Mile zu schlendern. Die schnurgerade alte Straße, die eigentlich aus vier verschiedenen Abschnitten bestand, verband die mittelalterliche Burg mit dem trutzigen Bau des Holyrood Palastes. Die Waverley Station hatte den Ruf, der wohl zugigste Bahnhof der ganzen Welt zu sein, was ich an diesem sommerlich warmen Tag nicht bestätigen konnte. Nachdem ich einen Blick auf den ehemaligen Königspalast geworfen hatte, ging ich langsam die königliche Meile hinauf – Canongate, High Street, Lawnmarket bis schließlich Castlehill – hier wurden einst Hexen verbrannt – und betrat die große Esplanade vor der Festung. Leider blieb mir für eine Besichtigung der Burg keine Zeit mehr. Trotz dieses flüchtigen Eindrucks von der Stadt spürte ich eine Art Verbundenheit mit Edinburgh. Obwohl auf den Straßen und in den zahlreichen größeren und kleineren Geschäften hektische Betriebsamkeit herrschte, konnte der Unterschied zu London nicht größer sein. Hier und da schwirrten Fetzen von Gesprächen an meinen Ohren vorbei, und ich hatte häufig den Eindruck, eine völlig andere Sprache zu hören, so stark war der Dialekt einzelner Personen. Natürlich wusste ich aus Büchern von der bewegten Vergangenheit der Stadt, und ich beschloss, sollte ich in Schottland bleiben, Edinburgh in naher Zukunft wieder zu besuchen, um länger zu verweilen.
Kaum hatte der Zug die mächtige Stahlgitterbrücke über den Firth of Forth überquert, begann es zu dunkeln. Obwohl ich seit nahezu vierzehn Stunden unterwegs war, verspürte ich keinerlei Müdigkeit. Auch meine Selbstzweifel schienen zu schwinden, es machte sich nun eine Art aufgeregte Ungewissheit in mir breit, die aber nicht unangenehm war. Beinahe war es, als sei mit dem Überschreiten des Tweeds, des Flusses, der England von Schottland trennt, alle Angst von mir abgefallen.
»Ist das die Stimme des Blutes?«, flüsterte ich meinem Spiegelbild in der dunklen Scheibe des Abteilfensters zu. Es antwortete mir lediglich mit dem Abbild eines schmalen, langen Gesichtes mit großen, fragenden Augen. Meine väterlichen Vorfahren waren Schotten gewesen, und vielleicht begann ich, die jahrhundertealte, tiefe Verbundenheit der Bewohner mit ihrem Land zu spüren.
Der Zug war vom Komfort her in keiner Weise mit dem von London zu vergleichen. Er verfügte lediglich über zwei Wagen, in denen es nur eine Klasse gab. Die Bänke waren aus Holz und hart. Zudem schien er, obwohl es Nacht war, an jedem noch so kleinen Flecken zu halten. Manchmal stöhnte und ächzte die Lokomotive, wenn es bergan ging, und verfiel in eine Geschwindigkeit, die weniger als Schritttempo betrug. Dauernd wurde ich auf der Bank durchgeschüttelt, so dass mir bald jeder Knochen wehtat. Jetzt bedauerte ich, dass ich wegen der Dunkelheit nichts von der Landschaft erkennen konnte. Gegen Mitternacht hatten wir an einer Station eine gute Stunde Aufenthalt, die ich dazu nützte, mich in dem kleinen Waschraum frisch zu machen. Die Nacht war mild und klar. Tausende von Sternen funkelten am Firmament, es schien mir, als bräuchte ich nur die Hand auszustrecken, um einen von ihnen herabzuholen. Seit zwanzig Jahren an die Geräusche einer Großstadt gewöhnt, lauschte ich fasziniert in die Nacht und hörte den heiseren Ruf des Käuzchens und andere Tierstimmen, die ich nicht zuordnen konnte. Gerne hätte ich an diesem verwunschenen Platz noch etwas verweilt, doch der Schaffner drängte zum Einsteigen, und der Zug ratterte weiter durch die finstere Nacht gen Norden.
Erst gegen Nachmittag des folgenden Tages erreichten wir Inverness, die Hauptstadt des schottischen Hochlands.
Das Büro von Mr. Grampson befand sich in einem schmalen, hohen Gebäude nur wenige Gehminuten von der Bahnstation entfernt. Die steilen Stufen in den dritten Stock bereiteten mir einige Schwierigkeiten, so dass ich außer Atem war, als ich an die schlichte Holztür klopfte. Als hätte direkt dahinter jemand gewartet, wurde sie unverzüglich geöffnet.
»Sie wünschen?«
Ein hoch aufgeschossener Junge, kaum älter als sechzehn oder siebzehn Jahre, blickte mich freundlich an.
»Mein Name ist Lucille Hardy ... MacHardy«, verbesserte ich mich. Es fiel mir noch immer schwer, mich an meinen neuen Namen zu gewöhnen. »Ich komme aus London. Ein Anwalt hat mir mitgeteilt, dass Mr.
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