Der Schatz von Blackhope Hall
Bibliothek noch mehr. Worauf willst du hinaus?"
"Nun, wir sollten einige Nachforschungen anstellen."
"Auf welchem Gebiet?"
"Zum Beispiel könnten wir feststellen, ob das Kleid wirklich der Epoche entstammt, der ich es zugeordnet habe. Und vielleicht finden wir Informationen über das Haus. Heute Abend sagte Belinda, sie habe die Geschichte des Namens Blackhope während des Studiums entdeckt, mit dem sie von ihrem Lehrer beauftragt worden sei. Diese Kenntnisse muss sie irgendeinem Buch entnommen haben."
"Oh, wir würden zweifellos einige historische Werke finden. Alle Aristokraten haben langweilige Traktate über ihre Ahnen verfasst. Was genau suchen wir?"
"Das weiß ich nicht. Hoffentlich merken wir's, wenn wir's sehen."
Seite an Seite inspizierten sie den Inhalt der Regale, und nach wenigen Minuten fanden sie zwei Bücher über die Geschichte Englands und eine Abhandlung über die englischen Monarchen. Olivia setzte sich an den Schreibtisch und begann in den Biografien der Könige zu blättern. Schon nach kurzer Zeit rief sie triumphierend: "Hier! Schau doch, eine Zeichnung von Königin Mathilde, die mit Heinrich um den Thron gekämpft hat! So ähnlich war die Frau heute Abend gekleidet."
Stephen, der hinter dem Schreibtisch saß und ein Geschichtsbuch studierte, stand auf, ging zu ihr und spähte ihr über die Schulter. "Genau, abgesehen vom Pelz am Kragen und an den Ärmeln."
Aufgeregt blätterte Olivia ein paar Seiten um. "Und hier ist Eleonore – in ähnlicher Kleidung."
"Also müssen wir annehmen, dass unsere Erscheinung wie eine Dame aus dem … zwölften Jahrhundert angezogen war?"
"Ja – wie eine vornehme Dame. Ihr Gürtel bestand aus Goldgliedern mit kostbaren Edelsteinen. Damals wurden sie noch nicht geschliffen."
"Auch die Kappe hat golden geglänzt."
"Wenn man jemanden herumspuken lässt, wählt man natürlich eine aristokratische Dame. Wahrscheinlich ist dir schon aufgefallen, wie selten Geister als Bauer, Gerber oder Schmied erscheinen."
Belustigt lächelte er. "Nachdem wir die Epoche kennen, in der unsere Lady gelebt hat – würdest du dir eines dieser geschichtlichen Werke angucken?"
"Sehr gern." Olivia zog eines der Bücher, die auf der anderen Seite des Schreibtisches lagen, zu sich herüber. Zunächst überflog sie den Abschnitt, der von Wilhelm dem Eroberer handelte, dann blätterte sie weiter. "Wissen wir, seit wann dieses Haus Blackhope genannt wird?" Verstohlen gähnte sie hinter ihrer vorgehaltenen Hand.
"Keine Ahnung. Offenbar interessierte sich Belindas Lehrer viel mehr für die Geschichte des Gebäudes als meine Familie. Über die Zeit, bevor der erste St. Leger das Landgut übernahm, weiß ich sehr wenig. Irgendwo muss es eine St.-Leger-Chronik geben. Aber darin wird nichts über die Ära der Märtyrer stehen."
Eine Zeit lang vertiefte sie sich schweigend in ihre Lektüre, bis Stephen seufzend aufblickte und Olivia musterte. Das Buch lag aufgeschlagen in ihrem Schoß. Eine Schläfe an der Kopflehne des Sessels, hatte Olivia die Augen geschlossen. Im langsamen Rhythmus ihrer Atemzüge hoben und senkten sich ihre Brüste.
Entzückt betrachtete er ihr Gesicht. Irgendetwas an ihr faszinierte ihn. Immer öfter musste er an sie denken, und er freute sich jeden Tag auf ein Wiedersehen. Im Schlaf sah sie zauberhaft aus, sanft und unschuldig. Aber er mochte auch die wache Intelligenz in ihren braunen Augen, ihr mitreißendes Lächeln, die anmutigen Bewegungen. Für jenen Kuss hatte er sich entschuldigt, um die Pflicht eines Gentleman zu erfüllen. Da er sie kaum kannte, hätte er die kühnen Avancen nicht wagen dürfen. Aber das bereute er nicht im Mindesten. Ganz im Gegenteil, er hatte den Kuss in vollen Zügen genossen.
Olivia Moreland brachte sein Blut in Wallung, schon seit der ersten Begegnung. An jenem Abend hatte er nicht nur ihre Anziehungskraft gespürt, sondern auch ein sonderbares Wiedererkennen. Manche romantisch veranlagten Menschen behaupteten, wenn zwei Seelen zusammengehörten, würden sie einander rufen. Dieses Gerede hatte er stets für Unsinn gehalten. Jetzt war er sich nicht mehr so sicher. Bei Mrs. Terhunes Séance hatte er auf seltsame Art geglaubt, Olivia zu kennen, obwohl das unmöglich war. Jeder, der alberne Sentimentalitäten verachtete, würde erklären, Stephen habe sich einfach nur zu Olivia hingezogen gefühlt – eine schlichte erotische Reaktion. Aber das bezweifelte er.
Lautlos stand er auf, ging auf Zehenspitzen zu einem kleinen Sofa und
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