Der Schatz von Blackhope Hall
ergriff eine Häkeldecke, die er behutsam über Olivia breitete. Ohne zu erwachen, kuschelte sie sich in die warme Wolle, und er beobachtete sie einige Sekunden lang, bevor er zu seinem Platz hinter dem Schreibtisch zurückkehrte. Die Stirn in seine Hand gestützt, begann er wieder zu lesen. Die Zeit verstrich, seine Lider wurden schwer. Müde blinzelte er und rieb sich die Augen. Dann legte er einen Arm über das Buch, und sein Kopf sank darauf.
Er lehnte an einer steinernen, von der Sonne erwärmten Mauer, starrte in den Burghof und gab vor, die Ereignisse zu verfolgen. Aber seine Aufmerksamkeit galt nur ihr. Einen Korb am Arm, einen Schlüsselbund in der Hand, stieg sie die Eingangstreppe des Hauses herab und durchquerte den Hof. Sie trug keine elegante Kleidung, sondern eine einfache blaue Tunika und ein Unterkleid. Über dem Haar hing ein schlichter Schleier. Der Gürtel, der die Hüften umschlang, bestand aus geflochtenen Lederstreifen, nicht aus Gold oder Silber. Trotzdem erschien sie ihm so schön wie eh und je. Wildes Verlangen erfüllte seine Brust.
Niemals würde sie ihm gehören, das wusste er. Für ihn war sie unerreichbar, eine verheiratete Frau – noch dazu die Gemahlin des Mannes, dem er Treue geschworen hatte.
Er sah sie in den Lagerschuppen gehen. Dann schweifte sein Blick im Hof umher. Zwei Dienerinnen beugten sich über den Wäschetrog. Am Tor standen zwei Wachtposten. Aber keiner seiner Krieger befand sich in der Nähe. Und niemand beachtete ihn. Er schlenderte zur Seitenmauer der Festung. Was er jetzt plante, durfte er nicht tun, denn es war ehrlos. Dafür hasste er sich selbst. Doch er konnte sich unmöglich von ihr fern halten.
Sobald er aus dem Blickfeld der wenigen Leute im Hof verschwunden war, betrat er den Lagerschuppen. Durch die Ritzen der hölzernen Fensterläden drang nur wenig Sonnenschein herein. Die Falltür des Kellers war aufgeklappt. Unten schimmerte schwaches Licht. Vorsichtig stieg er die Stufen hinab, ging zwischen Fässern, Bottichen und Kisten zu der Fackel, die in einem Wandhalter steckte.
Sie öffnete gerade eine Tonne und spähte hinein. Als sie seine Schritte hörte, drehte sie sich um. Ihre Miene verriet teils Erstaunen, teils Hoffnung. Dann erkannte sie ihn und lächelte. "Oh John", seufzte sie und eilte ihm entgegen, hielt aber sofort schuldbewusst inne. "Nein, wir sollten nicht … Das darfst du nicht wagen."
Alles würde er für sie aufs Spiel setzen. Doch er sprach es nicht aus, denn Worte würden nichts nützen. Er trat näher zu ihr, entdeckte rote Striemen auf ihrer Wange, und sein Herz krampfte sich zusammen. Behutsam strich er über die Verletzung. "Hat dir das Sir Raymond angetan?" Seine Stimme klang wie zerbrochenes Glas; brennender Zorn erfüllte ihn.
Beschämt wich sie seinem Blick aus und nickte. "Nicht so schlimm …"
"Ich hasse ihn!" stieß er hervor. "Welch ein grausamer, gottloser Mann! Warum quält er dich? Am liebsten würde ich ihn töten." Mit sanften Lippen streifte er ihre misshandelte Wange, und sie stöhnte leise, entzückt und besorgt zugleich.
"Das kannst du nicht … Er ist dein Lehnsherr. Und du hast geschworen, ihn zu schützen."
"Hätte ich mich bloß einem anderen verpflichtet!"
"Dann wären wir uns nie begegnet", wandte sie ein. Im trüben Licht wirkten ihre Augen dunkel. Aber er kannte den kornblumenblauen Glanz, der vor vielen Monaten seine Seele erhellt hatte.
"Ich verabscheue ihn, weil er sich erkühnt hat, seine Mätresse ins Schloss zu holen. Wie schändlich, dich so tief zu kränken! Immer wieder sehe ich Elwena, diese Hure, umherstolzieren."
Lächelnd schüttelte sie den Kopf und berührte seinen Mund. "Das stört mich nicht."
"Mich umso mehr." Liebe und Sehnsucht durchströmten ihn. "Oh Alys …", flüsterte er und streichelte ihr Gesicht, schob den schlichten Schleier beiseite und schlang seine Finger in ihr flachsblondes Haar.
Die Lippen leicht geöffnet, schaute sie zu ihm auf. Ihre Atemzüge beschleunigten sich. Unfähig, sich noch länger zu beherrschen, küsste er sie. Heiße Freude durchströmte ihn, eine Mischung aus Verlangen und Zärtlichkeit.
Und wie es so oft in Träumen geschieht, verwandelte sich die Frau, die in seinen Armen lag. Plötzlich war er nicht mehr Sir John, sondern Stephen, und er umfing Olivia. Ihr Mund schmeckte warm und feucht. Hingebungsvoll schmiegte sie sich an ihn. Feurige Leidenschaft erfasste ihn, mit begierigen Händen erforschte er ihren weichen Körper.
Ein
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