Der Schatz von Blackhope Hall
würde auf dem Bett liegen und ihnen zugucken – bis ich erwachte und merkte, dass es ein Traum war. Und als wir die Vision durch die Halle gehen sahen, wusste ich sofort – es war dieselbe Frau."
"Warum hast du mir das verschwiegen?"
"Weil ich befürchten musste, du würdest an meinem Verstand zweifeln. Es war so bizarr. Und da ohnehin schon so viele Leute glauben, die Morelands wären nicht ganz richtig im Kopf … Du solltest nicht den Eindruck gewinnen, man müsste mich in eine geschlossene Anstalt bringen."
"Natürlich hege ich keinen Zweifel an deinem Verstand, auch nicht an meinem. Aber ich kann mir die Ereignisse nicht erklären."
"Und was werden wir tun?"
"Keine Ahnung. Wie gesagt, heute habe ich einige Nachforschungen angestellt. Ich fragte Belinda nach den Studien, die sie im Auftrag ihres Hauslehrers betrieben hatte, und sie holte einige Bücher aus ihrem Zimmer. In einem dieser historischen Werke fand ich ein Kapitel über Sir Raymond."
"Hier?" Olivias Atem stockte. "In Blackhope?"
"Dieses Landgut besaß er schon lange, bevor es die St. Legers übernommen haben. Er war ein Ahnherr jenes Lord Scorhill, der die Festung an Heinrich VIII. verlor, und wohnte hier in der Ära Heinrichs II."
Verblüfft presste Olivia eine Hand auf den Mund, und Stephen musterte sie verständnisvoll.
"So ähnlich fühlte ich mich auch bei dieser Erkenntnis."
"Also haben unsere Traumgestalten wirklich gelebt? Auf Blackhope, im zwölften Jahrhundert?"
"Das weiß ich nicht. In diesem Buch werden weder Sir Raymonds Gemahlin noch ein gewisser John erwähnt. Aber die beiden dürften keine historisch bedeutsame Rolle gespielt haben. Dem Traum zufolge befehligte der Ritter nur Sir Raymonds Krieger."
"Und Ehefrauen werden selten gewürdigt", ergänzte Olivia ironisch.
"Jedenfalls sprach Belinda neulich beim Dinner über Sir Raymond, dem der Landsitz den Namen Blackhope verdankt …"
"Und der sich vor lauter Trauer um seine Frau in der Festung einschloss."
"Genau. Das wird natürlich eine Legende sein. Aber dass Sir Raymond Blackhope wieder aufgebaut hat, ist eine Tatsache. Offenbar war die ursprüngliche normannische Festung während einer Belagerung ganz oder teilweise zerstört worden. Sir Raymond ließ das gegenwärtige Gebäude auf den Ruinen des alten errichten."
"Könnte der Kampf in deinem Traum mit jener Belagerung zusammenhängen?"
"Mag sein. Die Feinde befanden sich innerhalb der Mauern. Und es brannte. Ich erinnere mich an dichten Rauch."
"Gehört die Halle, in der wir die Frau sahen, zum ältesten Teil des Hauses?" Stephen nickte, und Olivia fuhr fort: "Also durchquerte sie einen Raum an der Stelle, wo die einstige Festung gestanden hatte. Vielleicht öffnete sie eine ehemalige Tür, und wir dachten, sie würde in der Wand verschwinden … Oh, was rede ich da!" Ärgerlich schüttelte sie den Kopf. "Es gibt keine Geister. Niemals werde ich an Geister glauben. In diesen Mauern spukt keine Frau aus dem Mittelalter. Irgendwie müssen Madame Valenskaya und ihre Komplizen das alles inszeniert haben."
"Vorhin sagtest du, solche Tricks würdest du nicht kennen."
"Was keineswegs bedeutet, dass so etwas unmöglich ist", betonte sie. "Ich begreife bloß nicht, wie sie das fertig bringen. Jedenfalls müsste es ein sehr seltsamer Zufall sein, dass diese Dinge zur gleichen Zeit geschehen, wo Madame Valenskaya ihre Séancen hier abhält und von verlorenen Seelen in Blackhope faselt."
"Und wieso weiß sie über Sir Raymond und seine Frau Bescheid? Nicht einmal ich war informiert. Und das ist mein Haus."
"Erstens – ob Alys und John wirklich erlebt haben, was in unseren Träumen geschehen ist, steht nicht fest. Außer Sir Raymond wird niemand in diesem Buch erwähnt. Zweitens – Belinda hat uns von ihm berichtet. Dasselbe könnte sie Madame Valenskaya oder Irina schon früher erzählt haben. Oder die Russin ist auf das Buch gestoßen. Immerhin hat sie die Geschichte über die Märtyrer ausgegraben."
"Die ist allgemein bekannt. Wie auch immer, den Namen Sir Raymond könnte das Medium bei einem Gespräch mit meiner Schwester aufgeschnappt haben. Aber es gibt ein anderes Problem. Von John und seiner Lady träumte ich schon vor einiger Zeit, in der Nacht, nachdem ich dich kennen gelernt hatte – ehe Madame Valenskaya mit ihrer Begleitung hierher kam. Davor habe ich sie nie gesehen."
Schaudernd presste Olivia ihre Hände aneinander und versuchte, klar zu denken. "Wenn wir doch etwas mehr über Sir Raymond und das Haus
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