Der Schatz von Blackhope Hall
kompromittiert zu werden.
An diesem Abend verlief das Dinner in gedämpfter Stimmung. Mr. Babington lag immer noch besinnungslos in seinem Zimmer, und niemand vermochte die düstere Atmosphäre aufzulockern – nicht einmal Belinda, die nach den beklemmenden Erlebnissen der letzten Tage still und in sich gekehrt wirkte.
Offensichtlich sorgte sich Madame Valenskaya um Mr. Babington. Während der Mahlzeit erwähnte sie immer wieder den "lieben Mann" in jammervollem, sentimentalem Ton. Olivia, die neben ihr saß, hegte allmählich den Verdacht, die Frau sei beschwipst.
Am nächsten Morgen, nach dem Frühstück, suchte sie gemeinsam mit Stephen in der Bibliothek nach Büchern über Blackhope und die Familie Scorhill. Die Werke, die im Arbeitszimmer verwahrt wurden, hatten sie bereits studiert.
"Was immer wir in Träumen oder Visionen sehen", argumentierte Olivia, "es muss mit Ereignissen auf Blackhope zusammenhängen, die sich im Mittelalter abspielten. Wenn wir in einem Geschichtsbuch entsprechende Hinweise finden, könnte uns das weiterhelfen."
Diese Ansicht vertrat auch Stephen, und sie genoss es, mit ihm zusammenzuarbeiten. Aber am Ende des Vormittags war die Mühe nicht belohnt worden.
"Nie zuvor ist mir aufgefallen, wie viele banale und nutzlose Bücher in diesen Regalen stehen", bemerkte er. Um sich auszuruhen, saßen sie am Schreibtisch und tranken eine belebende Tasse Tee.
"Hm – in den Moreland-Bibliotheken sieht es auch nicht anders aus, und das gilt vor allem für unseren Landsitz." Amüsiert fügte sie hinzu: "Dort hat nicht einmal Großonkel Bellard alle Bücher gelesen." Einen Ellbogen auf dem Tisch, das Kinn in die Hand gestützt, starrte sie vor sich hin. "Inzwischen habe ich über jenen Traum nachgedacht. Und ich glaube, Lady Alys wollte mir etwas Wichtiges sagen."
Stephens fragender Blick trieb ihr das Blut ins Gesicht.
"Schon gut, ich weiß – das klingt albern. Immerhin ist die Frau seit Jahrhunderten tot – falls sie jemals gelebt hat. Trotzdem – irgendwie fühle ich mich mit ihr verbunden. Warum habe ich von der goldenen Kassette geträumt? Und wieso erklärte sie mir, man müsse kostbare Dinge gut verwahren?"
"Nun? Warum?"
"Das weiß ich nicht!" entgegnete sie ungehalten. "Darin liegt das Problem. Immer wieder habe ich mir den Traum in Erinnerung gerufen. Und schließlich gewann ich den Eindruck – natürlich, das klingt seltsam … Anscheinend sind einige Juwelen verschwunden."
"Was?"
"Sie lagen nicht in dem Kästchen, das du mir gestern gezeigt hast. Zum Beispiel vermisste ich den Gürtel, den Lady Alys hineingelegt hatte. Und da war eine hübsche Kette mit einem kleineren Kreuz, außerdem ein breites goldenes Armband. Nichts davon lag in deiner Schatulle. Aber den kleinen Dolch habe ich in meinem Traum nicht gesehen."
"Das finde ich nicht sonderlich bedeutsam." Stephen runzelte die Stirn. "Wenn der Märtyrerschatz aus Sir Raymonds Zeit stammt, könnte sich der Inhalt der Kassette mehrmals verändert haben, bevor er in den Besitz des enthaupteten Lord Scorhill kam. Entweder wurden einzelne Stücke gestohlen oder verkauft, oder man ließ das Gold schmelzen, um andere Juwelen anfertigen zu lassen. Jedenfalls gibt es keinen Grund für die Annahme, sämtliche Gegenstände müssten immer noch vorhanden sein."
"Wohl kaum. Und doch – Lady Alys wollte mir etwas mitteilen, das fühlte ich." Stöhnend schlug Olivia die Hände vors Gesicht. "Oh Gott, wie dumm von mir! Warum bilde ich mir ein, eine Tote erscheint mir in einem Traum und versucht, mir irgendetwas zu erzählen?"
"Nichts ist unmöglich – diese Überzeugung habe ich mittlerweile gewonnen. In deinem Traum verarbeitet dein Gehirn gewisse Erlebnisse. Neulich hörte ich von einem Mann, der etwas verloren hatte und in einem Traum sah, wo es sich befand. Er hatte es einfach nur vergessen. Vielleicht hängt dein Traum mit irgendwelchen Dingen zusammen, die in deinem Unterbewusstsein verschlossen sind."
"Mag sein …"
"Was genau hat die Frau gesagt?"
"Wenn ich mich bloß entsinnen könnte …" Olivia presste eine Hand an ihre Stirn. "Wie das ist, weißt du ja. Manchmal erinnert man sich ganz deutlich an einen Traum, und später kann man sich die Einzelheiten nicht mehr ins Gedächtnis zurückrufen. Jedenfalls ging es um irgendetwas Wertvolles, das man hüten muss …" Plötzlich verstummte sie.
"Sprich doch weiter!" drängte Stephen.
"Wahrscheinlich hat es nichts zu bedeuten. Aber gerade ist mir etwas eingefallen.
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