Der Schatz von Dongo
legte. Von meiner Zimmertür aus lief eine Spur aus
getrockneten Blutspritzern den oberen Flur entlang, die Hintertreppe
hinab und in den Garten hinaus – genau bis dahin, wo man
Arnoldo vergraben hatte. Middlekey und de Jong zweifelten keine Sekunde
daran, daß ich das Opfer einer geschickt gestellten Falle und der
Diebstahl des von uns versteckten Schatzes lediglich ein Nebenprodukt
der eigentlichen Absicht war, unser Untersuchungsteam zu vertreiben.
Solange wir hier waren, stellten wir eine Gefahr für den Hauptschatz
dar, deswegen war eine gut organisierte, geschickte und rücksichtslose
Gruppe von Menschen fest entschlossen, uns aus dem Weg zu räumen. Und
welche Methode wäre da wirkungsvoller, als der Versuch, durch die
verbrecherische Tat eines einzigen uns alle in Mißkredit zu bringen?
Der Polizeichef jedoch interessierte sich nicht für unsere
Spekulationen. Arnoldo Disio war sein Jugendfreund gewesen. Middlekey
und ich stritten mit ihm über die Frage, ob er für einen Fall, in den
Militärangehörige verwickelt waren, zuständig sei, er aber berief sich
darauf, daß der Ermordete in seinen Augen ein Zivilist aus Como und
kein Militärangehöriger sei, daß man ihn auf Comer Boden gefunden habe
und daß daher Mörder wie Ermordeter unter seine Gerichtsbarkeit fielen.
Und deshalb werde er die Verhaftung vornehmen, stehe aber jederzeit für
Besprechungen mit den alliierten Militärbehörden zur Verfügung, falls
sie die Zuständigkeitsfrage mit ihm diskutieren wollten. Inzwischen
werde er sich mit seinen eigenen Vorgesetzten Dienststellen in
Verbindung setzen, um eine sofortige, richterliche Verfügung erwirkt zu
bekommen.
Die unmittelbare Folge der Verhaftung war genau, was unsere
unbekannten Feinde nach unserer Ansicht erreichen wollten: das
alliierte Hauptquartier in Mailand ließ unser Vorhaben abbrechen, bis
man die Anklage gegen mich genau untersucht hätte. Middlekey und de
Jong erhielten Befehl, zur Einvernahme nach Mailand zurückzukehren.
Einer der Fallstricke der italienischen Rechtsprechung ist das
Fehlen eines Habeas-Corpus-Gesetzes: Ein Angeklagter kann monate-, ja
jahrelang im Gefängnis sitzen, ohne zu wissen, wessen man ihn
beschuldigt, und ohne dem Richter vorgeführt zu werden. Die
Militäranwälte der Armee versuchten den Staatsanwalt von Como zu
zwingen, offiziell Anklage gegen mich zu erheben und den Termin für den
Prozeß festzusetzen.
Ich glaube, wenn es nicht eine weitere negative Entwicklung
gegeben hätte, wäre ich bei dem Eifer, den die Militäranwälte
entwickelten, in dem Prozeß gar nicht so schlecht davongekommen. Aber
es gab eine weitere negative Entwicklung.
Bei meiner Verhaftung war meine gesamte persönliche Habe in
der Villa konfisziert und in gerichtliche Verwahrung genommen worden.
Als schließlich entschieden wurde, daß die Behörden von Como und nicht
das Militär für meinen Fall zuständig waren, wurden die Sachen der
Staatsanwaltschaft von Como übergeben. Bei diesen Sachen befand sich
ein Tagebuch, das wir alle auf Middlekeys Vorschlag geführt und in das
wir unsere Unternehmungen, Funde und die Ergebnisse von Befragungen
eingetragen hatten. Die regulären Tageseintragungen bestätigten den
Bericht über meine Tätigkeit, den ich der Polizei gegeben hatte, doch
hinten im Buch, auf der Innenseite des Deckels, stand eine kurze Notiz.
Sie lautete: ›National Lugano MLZ-674‹. Sie war in Druckbuchstaben und
mit Tinte geschrieben worden – doch nicht von mir.
Es kostete nicht viel Mühe, sie zu entziffern: ein
Nummernkonto bei der Banka Nationale in Lugano. Zur damaligen Zeit,
gleich nach dem Krieg, war der Kontakt zwischen Schweizer und
italienischen Beamten weitgehend von Laxheit und gegenseitiger
Gefälligkeit diktiert, so daß man unter der Begründung, das Konto habe
mit einem Kriminalfall zu tun, den Besitzer eines solchen Kontos
unschwer feststellen konnte. Wie der Staatsanwalt von Como erfuhr, lief
das Konto Nr. MLZ-674 bei der Banka Nationale, von dem ich nicht die
geringste Ahnung hatte, unter dem Namen Paul Selwyn, und die Aktiva,
die auf diesem Konto deponiert worden waren, bestanden aus
dreiunddreißig Millionen Lire, konvertiert in Schweizer Franken.
Von dem Rest des uns gestohlenen Schatzes wurde dort nichts
gefunden, aber die dreiunddreißig Millionen genügten. Die
Militärbehörden zogen zwar ihre Anwälte nicht offiziell zurück, die
Herren waren jedoch, kurz nachdem die Identität des Nummernkontos
feststand, einfach verschwunden.
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