Der Schatz von Dongo
meiner mittel-atlantischen Stimme
artikulieren mußte, lautete: »Schweigt! Ihr sprecht in Hitze, doch Eure
Worte lassen mein Blut eiskalt.« Diese Sequenz wurde so oft wiederholt,
vor allem, weil ich den Dreh nicht 'rauskriegte, wie man die Lippen
synchron mit Gassman bewegte, daß meine Stimme rauh und kehlig wurde
und ich vom langen Hinaufstarren zur Leinwand einen steifen Hals bekam.
Iris hingegen war sehr versiert in dieser Kunst und stand mir
nach Kräften bei. Aber es mangelte mir nicht nur am richtigen Gefühl
für das Synchronsprechen, sondern darüber hinaus an jeglichem
schauspielerischen Talent, so daß meine Sätze fast alle wie
Lautsprecheransagen auf einem Flughafen klangen. An jenem ersten Tag
massierte mir Iris in der Mittagspause den Nacken und übte das Sprechen
mit mir, so daß wir am Nachmittag drei Sequenzen – die Norm
waren sechs – schafften. Iris verhielt sich wie eine ältere
Schwester am ersten Schultag ihres Bruders und unterschied sich völlig
von jener Iris, die ich auf Dans Party kennengelernt hatte. Sie gab
sich freundlich, doch als sie meinen Nacken massierte, kam es mir vor,
als sei die Berührung ihrer geschickten Finger mit voller Absicht
unpersönlich.
»Jetzt müßte es besser sein«, stellte sie fest. Sie ließ mich
unversehens los und setzte sich mir gegenüber auf einen Stuhl, als
hätte sie gespürt, wie unter ihren Fingern mein Blut zu wallen begann.
Ich drehte den Hals, um ihr zu zeigen, wie gut es schon wieder ging.
Sie trug keinen Büstenhalter unter dem dünnen Sommerkleid, so daß die
Brustwarzen ihres hoch angesetzten, straffen Busens zwei kleine,
erregende Punkte bildeten. Doch was hatte Dan auf der Party gesagt?
Sieh dich vor, die hat zu wenig Pfeffer im Hintern. Damit hatte er
zweifellos recht, aber mir schien, daß diese Eigenschaft bei ihr eher
künstlich erzeugt als angeboren war. Es kam mir vor, als säße Iris im
Sattel und gäbe dem Pferd die Sporen, während sie gleichzeitig die
Kandare straff hielt.
»Tut mir leid, aber ich muß Sie jetzt Ihrem Schicksal
überlassen. Ich arbeite zwei Tage an einem Western in Kalabrien«,
erklärte sie.
»Wann müssen Sie fahren?«
»Heute abend.«
Ich verbarg meine Enttäuschung nicht. Ich hatte mich auf
diesen Abend mit ihr gefreut: endlich, endlich, endlich wieder eine
Frau! Mein ganzer Körper balancierte auf der messerscharfen Kante der
Erwartung.
»Sie werden keine Schwierigkeiten mehr mit der Rolle haben«,
versicherte sie mir. Sie hatte meine Enttäuschung falsch ausgelegt.
»Sprechen Sie nur nicht zu verkrampft. Versuchen Sie Ihre Stimme
lässiger klingen zu lassen.«
»Wann werden Sie wiederkommen?«
»Vermutlich Freitag.«
»Ich würde gern mit Ihnen essen gehen.«
»Gut. Aber ganz sicher ist es noch nicht. Wenn die erst einmal
sehen, was für ein hervorragendes Cowgirl ich bin, bauen sie meine
Rolle vielleicht noch aus.«
»Na schön. Falls die sich von Ihnen trennen können und Sie
wieder da sind …«
»Ich rufe Sie im Studio an.«
Vier Tage verstrichen, in denen ich trotz
meines steifen Halses, meiner Heiserkeit und meines nervösen Magens
dankbar für meine Arbeit mit Vittorio Gassman war, die mich von acht
Uhr morgens bis acht Uhr abends in Atem hielt. Von Constantin Gibio
hörte ich nichts, Dan war nach Florenz gefahren, um dort über
beginnende Unruhen an der Universität zu berichten, und Iris, die in
Kalabrien Furore gemacht haben mußte, kam am Freitag nicht zurück.
Ich zog vom Inghilterra in eine kleine Pension an der Piazza
del Populo – ohne Balkon, aber um zwei Drittel billiger als
das andere Zimmer – und fand in den Nebenstraßen ein paar
Trattorias, wo herzhafte bürgerliche Küche zu bürgerlichen Preisen
serviert wurde. Dans Warnung, mein Kapital würde bestimmt nicht
ausreichen, hatte sich bald als berechtigt erwiesen, deshalb kam mir
die tägliche Synchron-Gage wie ein Geschenk des Himmels vor. Ich fand
mich in diesem Leben ›draußen‹ weit besser zurecht, als ich erwartet
hatte, doch das bedeutete nicht, daß es keine Überraschungen und
Probleme gab. Tagtäglich war alles, was mir begegnete, eine unablässige
Quelle freudiger Erregung für mich: die Straßen, die Schaufenster, die
Zeitungen, die Gespräche, das Kino, die wunderschönen Antiquitäten, der
Himmel, die Flora, die Brunnen, die Kioske, die Restaurantgerüche, die
Pferdekutschen mit dem fransenverzierten Dach, die in der Via Liguria
in langer Reihe auf Kunden warteten, und die schneeweiß
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