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Der Schatz von Dongo

Der Schatz von Dongo

Titel: Der Schatz von Dongo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.E. Hotchner
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dem
knielahmen Kletterer eintausend Jahre Sündenablaß. Das kam mir für eine
so kleine Mühe so großzügig vor, daß ich mich, obwohl ich keiner
Religionsrichtung angehöre, mit Iris einreihte, um den Aufstieg zu
wagen. Am Fuß der Treppe regelten zwei Priester den Verkehr und
ordneten die Andächtigen zu Viererreihen. Diejenigen, die ihren Platz
bereits eingenommen hatten, wurden von ihnen ununterbrochen
angetrieben, und jedes Quartett wurde so geschickt auf der Treppe
placiert, daß zwischen den einzelnen Reihen keine Stufe frei blieb. Der
Marmor trug von den vielen Knien, die im Lauf der Jahrhunderte über ihn
hochgeklommen waren, tiefe Eindrücke und war daher mit dicken
Walnußplanken geschützt. Doch auch die Planken zeigten bereits wieder
Vertiefungen, und Iris sagte, sie müßten alle paar Jahre erneuert
werden. Mir taten die Mönche und Nonnen leid, deren weite Gewänder sich
immer wieder um ihre Knie wickelten. Sie bot einen ehrfurchtgebietenden
Anblick, diese stumme Menge, die sich in Wellen nach oben arbeitete. Da
gab es manche, fast ausschließlich Alte und Kranke, denen die
Anstrengung einfach zuviel wurde und die wieder hinuntergeführt werden
mußten, womit ihre Hoffnungen auf eintausend Jahre Ablaß dahin waren.
    Während Iris und ich, nebeneinander kniend, das Zeichen zum
Aufstieg erwarteten, sah ich links neben mir an der Wand ein Schild:
»Vorsicht, Taschendiebe!« Ich nahm meine Brieftasche heraus und steckte
sie innen in mein Jackett.
    Der Weg nach oben war unbequem und schmerzhaft, vor allem für
so knochige Knie wie die meinen. Und es war langweilig. Das Tempo
bestimmten die Langsamsten. Immer wieder mußte man einen Bogen um
Ausruhende machen. Viele Pilger waren für diesen Sündenablaß von
weither gekommen und fest entschlossen, die Treppe ganz zu
bezwingen – egal, wie weh es tat und wie lange es dauerte. Die
stickige Luft roch nach Essensdunst, Schweiß, Parfüm, Liniment, saurem
Wein und kaltem Tabak. Da die meisten Aufwärtskriechenden den Kopf
gesenkt hielten, nahm ich an, daß sie beteten – oder zusahen,
wie ihre Knie wund wurden. Mein eigenes Gebet bestand darin, daß ich an
Gibio und sein entmutigendes Schweigen dachte.
    »Hören Sie, Iris«, flüsterte ich. Sie wandte den Kopf und sah
mich durch ihren Haarschleier an. »Glauben Sie, daß wir uns auf dem Weg
in den Himmel befinden?« Sie nickte lächelnd, und dann rutschten wir
gemeinsam wieder eine Stufe höher. »Wissen Sie, wen ich dort oben zu
treffen hoffe?«
    »Nein. Wen denn? Reden Sie um Gottes willen nicht so laut!«
    »Einen reichen Mann, der gern noch reicher werden möchte.«
    »Warum?«
    »Haben Sie gute Verbindungen? Kennen Sie Leute, die Geld
haben?«
    »Nein, eigentlich nicht. Ich kenne zwar ein paar
Adelige …«
    »Denken Sie nach! Es brauchen keine Italiener zu sein. Das
wäre mir sogar noch lieber. Wie ist es mit Ihnen selbst? Sind Sie eine
reiche Erbin?«
    »Ich habe seit acht Jahren kein Wort mit meinem Vater geredet.«
    »Ich dachte nur, Sie kennen vielleicht einen
abenteuerbesessenen Mann mit Kapital, der gern noch etwas mehr Geld
machen möchte.«
    »Was ist – sind Sie vielleicht ein Betrüger? Es heißt
doch immer, daß diejenigen, die am wenigsten danach aussehen, Betrüger
sind.«
    »Und ich sehe nicht danach aus?«
    »Nicht im geringsten. Soll ich Ihnen sagen, wie Sie mir
Vorkommen?«
    »Bitte.«
    »Wie ein Mann, den man vor dem Ertrinken gerettet hat und der
sich jetzt nicht entschließen kann, ob er wieder hineinspringen soll.«
    »Sagen Sie mal, Iris, ist dieser tausendjährige Ablaß
übertragbar? Wie hoch ist der Marktwert? Wie ist es mit einem
Zehntausend-Jahre-Ablaß? Zehnmal rauf, und ich hätte ihn, obwohl ich
vermutlich zum Schluß wie Toulouse-Lautrec aussehen würde.«
    Oben an der Treppe wurden uns von ein paar Nonnen die
Ablaßzettel überreicht. Mit steifen, fühllosen Beinen staksten wir den
oberen Korridor entlang, wo ich für Iris an einem Andenkenstand zur
Erinnerung eine Scala Santa aus rosa Plastik kaufte.
    »Dieser reiche Mann, von dem Sie vorhin sprachen –
brauchen Sie den für ein Geschäft, das sie machen wollen? Ich meine,
haben Sie das ernst gemeint?«
    »Ja – zweimal ja. Ich brauche ihn für … also
ja, man könnte es ein Geschäft nennen, und ja, ich habe es ernst
gemeint.«
    »Also, ich kenne da einen. Ich gehe zwar nicht sehr gern zu
ihm …«
    »Ich habe da eine andere Möglichkeit. Ich wollte mich
lediglich doppelt sichern. Und außerdem wäre es mir

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