Der Schatz von Dongo
an Dokumenten interessiert:
Tagebüchern, Korrespondenz, Verleihungsurkunden für Orden –
was immer auftaucht. Falls ausschließlich Geld gefunden wird, würde ich
ein Viertel der Gesamtsumme beanspruchen. Ich bin gern sehr offen und
genau, was Finanzen betrifft. Das Geld hat mich korrumpiert, und es ist
von Nutzen, wenn man in dieser Beziehung klare Verhältnisse schafft.«
»Ich glaube, da irren Sie, meinen Sie nicht? Korrumpiert sind
doch eigentlich wir, die wir das Geld dringend brauchen.«
»Nein. Erst wenn man ganz genau weiß, was andere Menschen für
Geld tun würden, dann ist man wahrhaft korrupt. Nicht die anderen, die
sich deswegen demütigen, sondern ich, der ich sie demütige.
Noch eines: Ich wünsche unter keinen Umständen persönlich in
diese Angelegenheit hineingezogen zu werden, weder durch Anwesenheit an
Ort und Stelle noch durch Erwähnung meiner Beteiligung. Nur Sie und Dan
dürfen erfahren, daß ich damit zu tun habe. Ich will keine Berichte von
Ihnen, Kontakt werden wir miteinander nur aufnehmen, wenn ich es
wünsche. Ich werde Ihr Arbeitskapital auf ein Nummernkonto in Zürich
überweisen, und Sie werden dort jeweils die nötigen Beträge abheben.
Wir werden keinen schriftlichen Vertrag abfassen, aber auch wenn ich
nicht persönlich anwesend bin, werde ich ein Auge auf Sie haben, darauf
können Sie sich verlassen. Gewiß, wir spielen Roulette, aber ich habe
das ziemlich sichere Gefühl, daß Ihre Nummer kommt. Tut sie es nicht,
werden Sie feststellen, daß ich ein guter Verlierer bin.«
Bevor ich an jenem Abend einschlief, mußte
ich an die Erlebnisse meiner Kindheit denken, die durch die Unterredung
mit Gibio wieder in mir lebendig geworden waren. Zum Beispiel die Sache
mit dem Pullover. Ich hatte nie etwas Neues zum Anziehen gehabt, kein
einziges Kleidungsstück, das extra für mich gekauft worden war, stets
trug ich die abgelegten Sachen anderer. Dieser genoppte Pullover nun
lag im Schaufenster eines Herrengeschäftes, an dem ich täglich auf dem
Schulweg vorüberkam, und all meine unterbewußten Sehnsüchte – bewußt etwas zu wünschen, hätte ich mir nie gestattet, da das an der Realität
vorbeiging und dieser Wunsch zu sehr geschmerzt hätte –, also
all diese Frustrationen und Armutsängste konzentrierten sich auf diesen
Pullover, der 9,99 Dollar kostete. Der Grund, weshalb ich es mir
leisten konnte, auf diesen Pullover zu hoffen, lag in der Tatsache, daß
es in St. Louis das Schulsparen gab. Einmal pro Woche nahm man sein
Sparbuch mit in die Schule und überreichte der Lehrerin einen Betrag
von einem Penny aufwärts. Sie trug ihn in das Sparbuch ein, und man
bekam sogar geringe Zinsen. Das Schönste daran aber war, daß nur man
selbst an dieses Geld heran konnte, dafür garantierte die Schule. Als
ich es auf 6,50 Dollar gebracht hatte – Einnahmen aus
kleineren Jobs und Botengängen –, begann ich mich bereits in
dem blauen Pullover mit der roten Kante an Kragen und Ärmeln zu sehen.
Ich träumte von mir in diesem Pullover. Ich ging sogar eines Tages hin
und probierte ihn an, obwohl ich noch nie ein Bekleidungsgeschäft
betreten hatte und furchtbar nervös wurde. Und da sah er sogar noch
besser aus, als ich es mir vorgestellt hatte. Doch dann machte die
Schulsparkasse Bankrott, man zahlte uns pro Dollar einen Cent aus, ich
stand mit sieben Cent in der Hand da und mußte Zusehen, wie die
Lehrerin mein Sparbuch nahm und ›entwertet‹ hineinstempelte.
Um diese grausamen Jugendjahre überstehen zu können, zimmerte
ich mir eine Phantasiewelt zurecht – so überzeugend, so schön,
so echt , daß sie zur Realität und die elende
Realität meines Lebens zur Phantasie wurde. Solange ich allein in
meinem Hotelzimmer lebte, fürchtete ich tagtäglich, bei der Heimkehr
von der Schule wegen der ausstehenden Miete ein Vorhängeschloß an der
Tür zu finden. Doch abends, während der Lärm aus dem ›Good
Times‹-Tanzlokal im Keller zu mir herauf drang und sich mit den
trunkenen Geräuschen mischte, die durch das Oberlicht vom Zimmer
gegenüber hereindrangen, wohin eine voluminöse, blonde Prostituierte
die ganze Nacht hindurch ihre Freier brachte, stellte ich mir vor, daß
meine Eltern in Wirklichkeit steinreich seien, daß sie mich aber
zunächst ein hartes Leben führen ließen, damit ich kein weiches,
verwöhntes Muttersöhnchen würde, und daß sie so lange fort waren, weil
sie immer wieder in ihr ›anderes‹ Leben zurückkehren mußten, daß sie
aber eines Tages, wenn
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