Der Schatz von Dongo
sich
um eine sehr fundamentale Frage, und ich weiß wirklich nicht, wie Sie
sie gültig beantworten könnten, ohne sich in Rhetorik zu flüchten. Ich
will nicht behaupten, die Lage sei aussichtslos, aber kritisch ist sie
immerhin. Meine Überlegungen sind folgende: Man hat Ihnen zu Unrecht
vierundzwanzig Jahre Ihres Lebens geraubt, und Sie wollen sich für
diesen Verlust mit Geld entschädigen, mit der Wiederbeschaffung
desselben Schatzes, der Ihr Verderben war. Bis dahin gehen unsere
Interessen konform. Ich möchte ebenfalls, daß dieser Schatz
wiedergefunden wird, um mich für die beträchtliche Geldsumme zu
entschädigen, die ich dabei aufs Spiel setzen soll. Nun kommt aber ein
weiteres Element hinzu: Im Verlauf Ihrer Nachforschungen über das
Verbleiben des Schatzes werden Sie zwangsläufig Hinweise auf jene
Personen entdecken, die mit seinem Verschwinden zu tun hatten, und
diese Nachforschungen werden unweigerlich auch die Frage nach der
Person oder den Personen nach sich ziehen, die Ihnen damals die Falle
gestellt haben. In diesem Augenblick wird Ihre Suche zur Vendetta, die
Sie von Ihrem ursprünglichen Ziel, an dem ich interessiert bin,
ablenken wird. Um es ganz grob zu sagen: Mir ist es egal, wer Sie
hereingelegt hat, Ihnen jedoch ist es verständlicherweise nicht egal,
und das ist ein schwacher, fast tödlicher Punkt in dem Vorschlag, den
Sie mir gemacht haben. Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein Mann, der
durch die Schuld anderer so viel gelitten hat wie Sie, nicht Rache im
Herzen trägt, und Rache gehört zu den Gefühlen, mit denen ich nichts zu
tun haben will. Rache macht blind und kann einen geradezu wahnwitzigen
Selbstvernichtungstrieb erzeugen, der nur mit dem einer verwundeten
Hyäne vergleichbar ist, die ihre eigenen Eingeweide frißt. Das ist der
einzige Punkt, der noch zu diskutieren wäre, Mr. Selwyn. Alles andere
steht für mich fest.«
Meine erste Reaktion war Schock – Schock, weil ich
die ganzen langen Jahre hindurch so sehr von dem Wunsch besessen war,
den Schatz zu finden, daß ich niemals einen Gedanken daran verschwendet
hatte, meine Feinde aufzuspüren. Ich dachte stets nur im Plural an sie.
Gewiß, vor dem Prozeß hatten meine Anstrengungen ausschließlich dem
Versuch gegolten, mich zu entlasten, indem ich darüber nachsann, wer
wohl die Schlinge geknüpft haben mochte, die mir um den Hals gelegt
worden war. Doch als das Hängen vorüber war, hatte der
Zuchthausleichnam nie wieder an seine Feinde gedacht. Immerhin wußte
ich, daß diese Erklärung, obwohl sie der Wahrheit entsprach, die
Möglichkeit, die Gibio erwähnt hatte, nicht unbedingt ausschloß. Denn
es ist schön und gut, sich in der Strafanstalt eine bestimmte
Betrachtungsweise anzueignen. Doch was, wenn ich Gelegenheit hatte, die
Schweinehunde zu finden, die mir so übel mitgespielt und mir das ganze
Leben zerstört hatten? Wer sagte denn, daß ich sie nicht wie ein
Berserker verfolgen und alles andere stehen und liegen lassen würde?
»Sie haben recht, Mr. Gibio, ich kann darauf nur mit
rhetorischem Protest antworten. Den jedoch haben Sie als nicht
überzeugend bezeichnet, und zwar mit Recht.« Ich stand auf und wanderte
um meinen Sessel herum. »Dieses Dossier, das Sie da angelegt
haben – wie weit geht das zurück?«
»Ziemlich weit.«
»Ich meine, bis in meine Kinderzeit?«
»Nun, eigentlich konzentriert es sich mehr auf Ihre
Erwachsenenjahre … Warten Sie mal … Ja, stimmt. Vom
College an.«
»Sind Sie über die Depression informiert, die große Depression
in den Staaten von 1930 bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkrieges?«
»Gewiß.«
»Nun, das ist mein Beweis. Deswegen können Sie sich darauf
verlassen, daß ich unserer Sache nicht untreu werde. Jene Jahre der
Depression waren mein ganzes Leben – sie und das Militär.«
»Ich verstehe nicht recht, was die Depression mit der Frage zu
tun haben soll, die ich an Sie gerichtet habe.«
»Der Zusammenhang, Mr. Gibio, besteht darin, daß ich niemals
etwas anderes kennengelernt habe als Armut und Lebenskampf –
gar nichts. Mein Vater war ein unfähiger Mann, der 1929, gleich nach
dem Börsenkrach, sein Juweliergeschäft verlor und sich als Vertreter
einer Armbanduhrfirma durchschlagen mußte. Zu jener Zeit waren
Armbanduhren jedoch kaum lebenswichtig. Meine Mutter arbeitete mal
hier, mal da, verkaufte an den Haustüren billige Unterwäsche, war
Aushilfssekretärin, Kassiererin. Doch als ich neun war, bekam sie eine
Lungenkrankheit und wurde von der
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