Der Schatz von Dongo

meinten, das sei nicht so wichtig, sie
brauchten mich dringend. Es war mir unangenehm, absagen zu müssen.
    Tagsüber war ich also ununterbrochen beschäftigt, des Abends
jedoch sehr einsam. Es ist bedrückend, in einem italienischen
Restaurant, vor allem in einer Trattoria, allein zu essen. Die
italienische Küche verlangt die Würze der Konversation –
zwischen den Speisenden, zwischen den Kellnern, mit Gästen an anderen
Tischen, mit den Besitzern. Gespräche, Lachen und ein Schuß Musik
wirken ebenso anregend auf die Sinne wie eine schöne, saftige Pasta.
Allein in einer von Leben erfüllten Trattoria in Trastevere zu essen,
wo die Atmosphäre von Geräuschen und der Geschäftigkeit der camerieri erfüllt ist, ruft immer, auch wenn die Pasta noch so al dente ist, ein schreckliches Gefühl der Einsamkeit hervor, so daß ich
manchmal, wenn ich dort saß und die fröhlichen Menschen um mich herum
beneidete, zu überlegen begann, ob ich wohl jemals aus meiner
Einzelhaft wieder herauskommen würde.

Zweiter
Teil
    8
    T ed Middlekey war ein gesprächiger
Engländer, ein begeisterter Geschichtenerzähler, der viel und gern
lachte, still vor sich hintrank und sich weitschweifig über seine
physiologischen Probleme ausließ.
    Er hatte sich seit dem Krieg erstaunlich wenig verändert. Dan
hatte ihn über das Londoner Büro seines Fernsehsenders ausfindig
gemacht, und als ich zum erstenmal bei ihm anrief, um ihm zu sagen, ich
käme nach London, wirkte er aufrichtig freundschaftlich und erfreut.
Als ich ihm jedoch kurz den Grund meines Besuches schilderte, erklärte
er mir, er müsse mich warnen, denn er bezweifle sehr, daß er oder Bis
de Jong an meinem Vorschlag Interesse hätten.
    Am Flughafen wurde ich von Teds grau livriertem Chauffeur
erwartet, der einen silberfarbenen Daimler mit zwei Rosen in einer
Kristallvase am Armaturenbrett lenkte. Ich setzte mich neben ihn auf
den Beifahrersitz und wurde sofort und ohne ein weiteres Wort zu Teds
Büro in der Regent Street gebracht. ›PR, Ltd.‹ nannte sich die
Firma – PR für Public Relations –, und nach der
Geräumigkeit und der teuren, aber ziemlich auffälligen Einrichtung zu
schließen, hatte sich Ted hier in London seine eigene Schatztruhe
aufgemacht.
    Abgesehen von einer kaum merklichen Wölbung in der
Taillengegend und geringfügigen Pölsterchen unter den Augen wirkte er
unverändert. Sein dunkles Haar war noch nicht aus der Stirn
zurückgewichen, noch nicht von grauen Strähnen durchzogen, und sein
Gesicht trug kein einziges erkennbares Fältchen.
    »Paul! Ja, Paul, wie schön, dich wiederzusehen! Noch immer
keine äußeren Anzeichen von Verschleiß, wie? Obwohl sich innerlich
gewiß einiges verändert haben dürfte. Zigarette? Nimm Platz, komm, setz
dich! Wo sollen wir anfangen?«
    »Erzähl mir von deiner Firma. Ein recht beachtliches Büro! Wie
bist du von Scotland Yard zu dem hier gekommen?«
    »Ich bin überhaupt nicht nach Scotland Yard zurückgegangen.
Das Los eines Polizisten, und so weiter … Außerdem lernte ich
Ende des Krieges eine Gruppe von amerikanischen Werbefachleuten
kennen – in Uniform, natürlich. Sie machten alle in Public
Relations – Army PR –, aber sie hatten auch in Zivil
schon zu der Zunft gehört. Ich war ganz baff, als sie mir erklärten,
was Public-Relations-Leute in den Vereinigten Staaten tun und wieviel
sie damit verdienen.«
    »Ich weiß nicht einmal jetzt viel darüber.«
    »Verdammt, Paul! Ich kann es kaum fassen, daß es schon zwanzig
Jahre her sein soll. Was ist das denn für ein Gefühl, plötzlich in eine
neue Welt versetzt zu werden?«
    »Nun, es ist nicht so sehr das Ausmaß, in dem sich die Welt
verändert hat, wie das Ausmaß, in dem ich selber mich nicht verändert
habe. Ich wundere mich, wie rasch ich vieles von dem akzeptiert habe,
was mir im ersten Augenblick verwirrend vorkam. Doch das bedeutet
nicht, daß ich schon innerlich damit fertig werde.«
    »Na ja, eines können wir wenigstens sofort tun: dich von
diesem unmöglichen Zeug befreien, in dem du 'rumläufst. Gewiß ein
Abschiedsgeschenk von einem übel gesinnten Aufseher. Ich meine, du
brauchst ja nicht gleich Cardin zu tragen. Jean Valjean tut's auch.«
Ich wollte Dans Garderobe verteidigen, aber Ted redete ohne Pause
weiter. »Weißt du, damals, 1946, hatte die Public-Relations-Branche
amerikanischen Stils noch nicht die dichten Verästelungen des
britischen Traditionalismus durchdrungen. Also beschloß ich, den
Drachen versuchsweise steigen zu