Der Schatz von Dongo
sie mich gestählt wüßten, die Maskerade beenden
und mir die Wahrheit mitteilen würden. Und diese Wahrheit sah ich in
allen Einzelheiten vor mir – die Wahrheit meines realen
Lebens: Ich kannte das Haus, in dem wir wirklich wohnten, eine Villa in
einem parkähnlichen Millionärsviertel, ich konnte genau sehen, wie
unser Leben wirklich verlief, ich kannte die Namen der Angestellten vom
Gärtner bis zum Chauffeur, die Namen der Lehrer an der exklusiven
Privatschule, die ich besuchte, ich kannte alle Einzelheiten dieses
›wirklichen‹ Lebens, jedes Kleidungsstück, mein Ferienlager, meine
Spielsachen, und ich hatte sogar eine riesige Eichentruhe mit
Lederdeckel, die nichts enthielt als wunderschöne Pullover.
Und so blieb diese Phantasiewelt auch für mich bestehen, als
Mutter aus dem Sanatorium entlassen wurde und bei der Bell Telephone
Company zu arbeiten begann, als wir ständig umzogen, von einer elenden
Behausung in die andere, von einer Schule zur anderen. Und sogar dann
noch, als Vater arbeitsunfähig wurde und schließlich an meinem ersten
Tag in der Mittelschule starb, bewahrte ich mir meine Phantasiewelt.
Sie war durch nichts ins Wanken zu bringen.
Umziehen mußten wir immer wieder, damit wir die Mietprämien
ausnutzen konnten. Zu jener Zeit hatten es nämlich die Hausbesitzer
nicht weniger schwer als die anderen Menschen. Sie konnten ihre
Wohnungen nicht vermieten und offerierten deswegen sogenannte
›Prämien‹. Man Unterzeichnete einen Mietvertrag für zwei Jahre, zahlte
die Miete für den ersten Monat und konnte dann zwei oder drei Monate
lang umsonst wohnen. Ein Hausbesitzer in der Lawn Avenue gab uns, wenn
ich mich recht erinnere, sogar eine Prämie von fünf Monaten. Und was
tat die ehrenwerte Familie Selwyn in einer Wohnung nach der anderen?
Sie zahlte die Miete für den ersten Monat, wohnte die mietfreien Monate
ab und zog dann wieder um. Uns wegen des nicht eingehaltenen
Mietvertrages eine Klage anzuhängen, hatte nur wenig Sinn –
wir besaßen nichts.
So ging es lange Zeit, und die Lage besserte sich nur
insofern, als wir es schließlich schafften, in einer Wohnung auch zu
bleiben: drei elende Zimmer über einem jüdischen Lebensmittelgeschäft,
wo unten im Hof, vor unserem Schlafzimmerfenster, Hühner geschlachtet
wurden. Der Rabbi kam und machte sie koscher, indem er ihnen den Hals
durchschnitt. Zwei Neger mit nacktem Oberkörper rupften sie, und die
weißen Federn blieben auf ihrer schweißnassen, schwarzen Haut kleben,
bis sie aussahen wie prähistorische Vögel.
7
I n der Nacht machte ich mir Gedanken über
Iris, das heißt weniger über Iris als über mein Verhalten zu ihr. Es
war, als hätte sich eine fremde Kraft meines Glieds bemächtigt, eine
Kraft, über die ich keine Kontrolle hatte. Im Zuchthaus gibt es keine
Möglichkeit, sich abzureagieren. Ja, abstellen konnte man sich. In der
Küche ging man recht großzügig mit Kaliumnitrat um. Aber wenn man sich
abreagieren wollte, hatte man nur die Wahl zwischen
Homosexualität – falls man in dieser Richtung veranlagt
war – und dem Do-it-yourself-Verfahren.
Als Schulkinder waren wir von Mr. Glendale, unserem
Biologielehrer, davor gewarnt worden. Das Masturbieren würde unserer
Männlichkeit schaden, hatte er uns gesagt, und wir hatten uns
totgelacht und seine Warnung als Albernheit abgetan. Immerhin sah es
jetzt so aus, als hätte Mr. Glendale wenigstens im Hinblick auf einen
seiner Schüler recht gehabt. In manchen Nächten hatte ich einen immer
wiederkehrenden Alptraum um mein Erlebnis mit Iris: Mein Penis war
verschwunden, ich suchte ihn wie verrückt, oder es hing ein anderer
Gegenstand zwischen meinen Beinen, ein Buch zum Beispiel –
ausgerechnet ein Buch! In diesen Träumen reagierte Iris immer
belustigt, sie lächelte kühl, stand manchmal mit ihren Synchron-Leuten
da und kicherte, und ich erwachte jedesmal in Schweiß gebadet.
Einige der Strafgefangenen onanierten so regelmäßig, als
hätten sie eine Frau im Zuchthaus, ich aber suchte diese Erleichterung
nur, wenn die sexuelle Spannung in meinem Körper unerträglich wurde.
Seltsamerweise schlief ich in meinen Onaniephantasien niemals mit einer
Frau, mit der ich tatsächlich geschlafen hatte. Vermutlich fühlte ich
mich von der Notwendigkeit des Onanierens so sehr gedemütigt, daß ich
das Ganze so irreal wie nur möglich gestalten wollte und deshalb auf
Mädchen zurückgriff, die lediglich Einbildung einer frustrierten
Erinnerung waren.
Iris traf ich noch ein
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