Der Schatz von Dongo
lassen und abzuwarten, ob er flog.
Sechs Jahre Militärdienst hatten mich darauf gedrillt, vor
risikoreichen Situationen nicht zurückzuscheuen – falls der zu
erwartende Gewinn entsprechend ausfiel. Ein Experiment in PR lag also
weit eher auf meiner Linie als eine Rückkehr zu der mühseligen
Plackerei bei Scotland Yard.«
»Aber du hattest doch gar keine Ahnung von PR.«
»Als ich zur Army kam, hatte ich auch keine Ahnung von
Unterwassersprengung oder Agenteninfiltration und habe mich trotzdem
ganz gut geschlagen. Also, ein Kumpel brachte mir den ersten
Kunden – Restaurierung beschädigter Denkmäler –, und
schon war der Start gelaufen.« Er drückte auf einen Knopf der
Schalteranlage an seinem Plexiglas-Schreibtisch, und an der Wand hinter
ihm leuchteten an einer weiß auf schwarz gefertigten Basreliefkarte von
Europa Myriaden von blauen Sternchen auf. »Da hast du es, das weltweite
Imperium der ›PR, Ltd.‹ Als die Sonne über dem britischen Weltreich
unterging, ging sie über Middlekeys Dominion auf. Ich habe mehr
Außenposten als England auf dem Höhepunkt seiner Glanzzeit Kolonien.«
»Du hast die sechs Jahre, die du verloren
hast, zweifellos reichlich aufgeholt …«
»Kann man wohl sagen. Aber, weißt du, um eines beneide ich
dich. Bitte, versteh mich nicht falsch, es ist wahrhaftig grauenhaft,
so lange eingesperrt zu sein, aber was für eine großartige Gelegenheit
zum Schreiben, wo du doch Schriftsteller bist! Das ist mein Kummer, daß
ich gar keine Zeit zum Schreiben habe. Wie schön das wäre! Die eigenen
Gedanken fließen vom Kopf durch die Finger auf das Papier, man kann
alles sehen, konkret und real, da steht es geschrieben, daß andere es
lesen können. Rückkoppelung, sozusagen: über die eigenen Finger durch
die Augen der anderen von Gehirn zu Gehirn, eine direkte Transfusion.
Ein Fest für das Ego. Übrigens, ein Buch habe ich doch geschrieben,
wußtest du das? Drei Wochen Marbella. Hab Weib und Kindern Valet
gesagt, im Club da unten ein Häuschen gemietet, die Tür zugemacht und
bin erst nach drei Wochen wieder zum Vorschein gekommen. Einen Kunden
habe ich leider dadurch verloren – British Woolens –,
aber das war mir die Angelegenheit wert, weiß Gott! Das schönste Gefühl
meines Lebens. ›In the Heat of Passion‹ heißt das Buch, ein
detaillierter Bericht über eine Serie von Sexualmorden, die ich
aufgeklärt habe. Hat sich ausgezeichnet verkauft, die Kritiken waren
sehr positiv.«
»Ich würde dein Buch gern einmal lesen, wenn du noch ein
Exemplar übrig hast.«
»Hab' ich. Dutzende. Aber das war das einzige Mal, daß ich
etwas Zeit zum Schreiben hatte, und das ist frustrierend. Ein bißchen
fröne ich meinen kreativen Neigungen ja noch immer. Ich schreibe
Literaturkritiken für die Daily Mail und nehme regelmäßig an
Fernsehdiskussionen teil. Die Serie wird wohl ewig weiterlaufen. Aber
was ist eigentlich mit dir? Hast du den großen Zuchthausroman nun
geschrieben?«
»Ich habe überhaupt nichts geschrieben. ›Wenn mir das Herz
schwer ist, kann ich meine Worte nicht in die Luft entlassen.‹ Mein
Gott, mir war das Herz wie Zink, der Hintern wie Blei, und statt Blut
hatte ich Hirsebrei in den Adern. Das Urteil lautete zwanzig Jahre bis
lebenslänglich, vergiß das nicht. Daher konnte ich nie sicher sein, ob
ich die Strafe nicht ganz absitzen müßte. Nein, nicht eine Zeile habe
ich geschrieben. Außerdem gingen meine Bestrebungen in eine ganz andere
Richtung, und darüber habe ich nun wirklich eine Menge gelesen und
geschrieben.«
So waren wir nun zum Zweck meines Besuches angekommen, doch
wie auf ein Stichwort klopfte es diskret an die Tür, und Teds
Sekretärin trat ein, um ihn daran zu erinnern, daß wir in zehn Minuten
bei White sein müßten.
Draußen wartete Teds Chauffeur mit geöffnetem Wagenschlag,
doch Ted winkte ab. »Vielen Dank, Hines, aber ich glaube, uns tut jetzt
ein kleiner Spaziergang gut.« Er sagte es genau wie Roland Coleman in
den Filmen meiner Jugendzeit – ein Satz, den ich seither
jedesmal benutzt habe, wenn es keine Transportmöglichkeit gab und ich
marschieren mußte. Aber ich war ein bißchen enttäuscht darüber, denn
ich wäre zu gern mit einem silberfarbenen Daimler bei White
vorgefahren, weil ich genau wußte, daß White der vornehmste Herrenclub
Londons – und wahrscheinlich der ganzen Welt – war.
Ich war im Krieg schon einmal in London gewesen, doch ein
Offiziersquartier im Grosvenor House, vor dem die Prostituierten auf
und
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