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Der Schatz von Dongo

Der Schatz von Dongo

Titel: Der Schatz von Dongo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.E. Hotchner
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daß jemand hier noch eine Kopie davon hat?«
    »Darauf kann ich Ihnen weder mit ja noch mit nein antworten,
aber eines kann ich Ihnen mit Sicherheit sagen: hier in der Gegend wird
niemand viel davon reden. Ich glaube, ich habe in den vergangenen
zwanzig Jahren kaum mehr als ein- oder zweimal von dem Schatz reden
hören.«
    »Und warum?«
    »Na ja, gleich nach dem Krieg verschwanden eine Menge Leute,
die mit dieser Liste zu tun gehabt hatten, oder wurden tot
aufgefunden – im See. Ein sehr nettes Paar, das ich kannte,
Partisanen, gute Leute, sehr tapfer – beide ermordet.
Verdammt, sogar der Bürgermeister von Zonico verschwand eines Tages auf
dem Heimweg vom Amt, und niemand hat je wieder eine Spur von ihm
gefunden. Wir haben eine Straße nach ihm genannt. Na ja, und wenn
genügend Leute umkommen oder verschwinden, dann werden andere eben
hellhörig. Nein, nein, hier in der Gegend hat keiner viel über diese
Dinge zu sagen.«
    »Und Sie persönlich?«
    »Ich auch nicht. Aber ich werde Ihnen von den Exekutionen
etwas erzählen, worüber ich mir seitdem immer Gedanken gemacht habe.
Sie wissen doch, daß die Kabinettminister, die bei Mussolini waren,
auch auf der Piazza von Dongo hingerichtet wurden, nicht wahr? Also,
sie wurden direkt am Seeufer aufgereiht, an einem Eisenzaun, mit dem
Rücken zum See. Auf der Piazza drängten sich die Zuschauer. Auch
Marcello Petacci, Clarettas Bruder, sollte mit den anderen zusammen
erschossen werden. Aber die Minister machten deswegen großes Geschrei,
sie mochten ihn nicht und wollten nicht, daß er mit ihnen zusammen
starb. Also gaben die Partisanen nach, und Petacci mußte beiseite
treten, während sie zuerst die Minister erschossen. Es war eine
furchtbare Schweinerei. Das Exekutionskommando muß stockbetrunken
gewesen sein, denn die Hälfte der Minister war nur verwundet, und
einige fingen an, auf der Piazza herumzulaufen, und dann fingen einige
Zuschauer, die eine Waffe hatten, auf sie zu schießen an, und in diesem
Durcheinander sprang Marcello Petacci plötzlich ins Wasser und schwamm
auf einen Wellenbrecher zu, der nicht weit vom Ufer in den See ragte.
Die beiden Partisanen, die ihn bewachen sollten, schossen ins Wasser,
und er ging unter, doch seine Leiche wurde nie gefunden. Das Wasser ist
an der Stelle dicht unter dem Ufer nicht allzu tief. Sie haben überall
nach ihm gesucht, aber sie haben ihn nicht gefunden, und seine Leiche
ist auch nicht hochgekommen.«
    »Was ist denn nach Ihrer Ansicht geschehen?«
    »Meine persönliche Ansicht … Verstehen Sie mich nicht
falsch, es ist einfach so eine Idee, Beweise oder so habe ich dafür
nicht. Na ja, also, als er die Schüsse hörte, ist er vielleicht einfach
untergetaucht und unter Wasser zu dem Wellenbrecher hinübergeschwommen.
Der ist so hoch, daß man vom Ufer aus nicht sehen kann, was sich
dahinter abspielt. Wenn da nun ein Boot gelegen hat, das er sich nahm?
Oder wenn er ganz an dem Wellenbrecher entlanggeschwommen ist? So oder
so hätte er entkommen können. Ich will nicht behaupten, daß er
entkommen ist, aber möglich wäre es schon.«
    Am nächsten Tag kam eine alte Frau aus Dongo
zu mir. Sie mußte mindestens neunzig sein, aber sie hielt sich
aufrecht, ihre Augen blickten klar und ihre Hände waren kräftig. Sie
lud mich zu einer Tasse Kaffee ein und schrieb mir sorgfältig Namen und
Adresse auf einen Zettel.
    »Ich möchte Ihnen etwas zeigen«, sagte sie. »Es wird langsam
Zeit, daß ich jemandem davon erzähle.«
    »Hat es mit unseren … Ausgrabungen zu tun?«
    »Nein. Mein Freund Paulo Benfatto sagte mir, daß er mit Ihnen
über ein anderes Thema gesprochen hat. Damit hat es zu tun.«
    »Gut. Ich danke Ihnen für Ihre Einladung und komme gern.« Hier
war der logische Anfang: bei den Alten, deren Lebensspanne zu Ende ging
und die nicht mehr viel zu verlieren hatten. Je weiter der Nachmittag
fortschritt, desto gespannter wartete ich auf die Enthüllungen der
alten Dame. Den anderen sagte ich nichts davon.
    Die Alte wohnte allein in drei Zimmern ganz oben an einer
Straße, die eben breit genug für einen Eselskarren war. Die Zimmer
waren sauber und schlicht, das Wohnzimmer, wo sie in dicken
Steinguttassen starken schwarzen Kaffee servierte, war mit gerahmten
Erinnerungsfotos von freudigen Ereignissen dekoriert. Sie zeigte mir
interessante Aufnahmen von Dongo und Umgebung aus dem ersten Weltkrieg
und Bilder ihrer vier Söhne, die alle bei verschiedenen militärischen
Aktionen gefallen waren. Ihr Mann war

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