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Der Schatz von Dongo

Der Schatz von Dongo

Titel: Der Schatz von Dongo Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A.E. Hotchner
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Expedition zusammenstellten,
eine großartige Idee gehabt. Er hatte vorgeschlagen, in den
Antiquitätengeschäften von Mailand Artefakten zusammenzukaufen, sie
nach Zonico zu schaffen und dort auf unserem Arbeitsgelände zu
vergraben. Zu einem günstigen Zeitpunkt sollten die Arbeiten dann an
jene Stelle dirigiert und diese Schätze ›gefunden‹ werden. Auf diese
Weise konnten wir unser archäologisches Vorhaben rechtfertigen. Es
hätte nicht besser funktionieren können.
    Ich hatte es immer wieder von mir geschoben,
als Giorgio jedoch von seiner Erkundungsfahrt nach Bellagio
zurückkehrte, konnte ich es nicht länger umgehen. Giorgio berichtete,
das Haus der Disios sei verschlossen und stehe seit langer Zeit leer.
Von Nachbarn hatte er gehört, Arnoldos Mutter und Frau seien beide vor
Jahren gestorben, sein Bruder Pietro wohne in Stuttgart, und seine
Tochter Julietta sei Muster-Designer bei einer Stoffabrik in Como.
    So war es also Julietta, der ich unter die Augen treten mußte.
In meiner Erinnerung sah ich sie noch als pummeliges Kind mit langem
Hängezopf, bienenwachsfarbenem Haar und Brille, in sich gekehrt, ernst
und fast unzugänglich.
    »Ich bin richtig nervös, wenn ich daran denke, Ted. Sobald ich
ihr sage, wer ich bin … Wer weiß, wie sie dann reagiert?
Feindselig auf jeden Fall. Und zwar mit Recht.«
    »Paß auf, du fängst einfach folgendermaßen an: ›Signorina,
sobald Sie meinen Namen erfahren, werden Sie mir nicht zuhören
wollen …‹«
    »Und dann?«
    »Redest du.«
    »Und wenn sie nicht zuhört? Warum sollte sie auch?«
    »Sie wird zuhören. Frauen sind neugierig. Sie wird dir
möglicherweise kein sehr geneigtes Ohr schenken, aber zuhören wird sie
bestimmt.«
    Bis aber war anderer Meinung. Er fand, ich vergeude nur meine
Zeit.
    Der Firmenname der Fabrik lautete Nuvola.
Dorthin schickte ich ihr auf dem Papier des San-Gottardo-Hotels, in dem
ich mir ein Zimmer genommen hatte, eine Nachricht. Ich schrieb, ich sei
während des Krieges mit ihrem Vater befreundet gewesen und bäte sie,
sich nach der Arbeit in einem Café, dem Nuvola-Werk gegenüber, mit mir
zu treffen. Ich unterschrieb nicht mit meinem Namen. Ted hatte es trotz
seiner Zuversicht nicht geschafft, mein Unbehagen zu beseitigen, aber
ich glaubte, eine Zusammenkunft in einem öffentlichen Café könne die
Spannung ein wenig erleichtern. Ich war schon sehr zeitig dort und
suchte meine Unsicherheit mit einem doppelten Scotch zu vertreiben. Ich
hätte Ted als Prellbock mitnehmen sollen, aber er war mit Bis zu einem
etwas heiklen Besuch ins Kloster Santo Zacharia gefahren. Beide waren
überzeugte Katholiken, Bis sogar Ritter vom Heiligen Stuhl, und diese
Tatsache sowie das archäologische Interesse, das uns mit Pater Donato
Piccionastro verband, wollten sie ausnutzen, um sich Zutritt ins
Kloster zu verschaffen. Sie wußten zwar nicht, wie sie das
Schweigegelübde umgehen konnten, aber sie wollten wenigstens zu klären
versuchen, ob einer oder der andere der Fratres, die 1945 in Dongo
gewesen waren, Informationen über den Schatz besaß. Ich hielt dies für
einen sinnlosen Versuch, zu jenem Zeitpunkt aber immerhin nicht
sinnloser als unser gesamtes Unternehmen.
    Auch hier stand ich wieder vor dem unbegreiflichen Phänomen
des Auftauens. Im Augenblick, da ich die Tiefkühlatmosphäre des
Zuchthauses betrat, war auch mein Leben erstarrt. Und ich hatte mir
vorgestellt, daß es genauso wieder auftauen würde, wenn ich das
Zuchthaus verließ, daß die Wärme der Außenwelt die starre Kälte
allmählich lösen würde – ebenso automatisch und
selbstverständlich wie bei einem Steak oder Hähnchen, das man am Morgen
aus dem Gefrierfach nimmt und auf den Küchentisch legt, damit es am
Abend bratfertig ist.
    Doch immer wieder hatte ich erfahren müssen, daß mein
persönlicher Tauprozeß alles andere als selbstverständlich und
automatisch ablief. Zum Beispiel jetzt, als ich auf Julietta Disio
wartete, war für mich das Leben an jenem Punkt erstarrt, als ich sie
zum letztenmal gesehen hatte: als kleines Mädchen auf der Schaukel vor
einem schmucken weißen Haus in Bellagio. Die Seidenbänder ihres
Kleidchens flatterten im Rhythmus der Schaukel, und plötzlich
leuchteten ihre Augen auf, weil sie ihren Vater gesehen hatte.
Strahlend kam sie auf ihn zugelaufen: »Papa! Papa!«
    Das war erst gestern gewesen, denn in dem sonnenlosen Beton
der Zuchthausjahre veränderte sich nichts, kann nichts weiterwachsen.
Wie sollte ich mir dieses kleine Mädchen

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