Der Schatz von Dongo
gegenüber, was
sollen wir mit der armen Julietta machen und so weiter.
Es war inzwischen Weihnachten geworden. Ich hatte das Fest
immer bei meinen Verwandten in Mailand verbracht, deswegen glaubte ich,
auch diesmal hinfahren zu müssen. Trotz Flora. Wie immer teilte ich das
Zimmer mit Flora, und als ich auspackte … Ja, ich zog eine
Schublade auf, um meine Sachen hineinzulegen, und fand ganz hinten
einen großen Umschlag, der einen Stoß Briefe von Pietro an Flora
enthielt. Daß er es fertiggebracht hatte, mit mir zu schlafen, und ihr
dann solche Briefe zu schreiben! Ich stellte Flora zur Rede, und sie
gab sofort alles zu. Sie sagte jedoch, Pietro habe ihr zu verstehen
gegeben, daß zwischen uns nichts Ernstes bestehe. Ob das stimmt, weiß
ich nicht, es war auch nicht weiter wichtig. Fest stand jedoch, daß
Flora die Briefe, bewußt oder unbewußt, in der Schublade liegengelassen
hatte, weil sie wollte, daß ich sie läse.
Es folgten sechs Monate voll der Höllenqualen für mich. Pietro
versuchte, Kontakt zu bewahren, wiedergutzumachen, festzuhalten, was er
verspielt hatte. Doch alle die wunderbaren, starken, leidenschaftlichen
Gefühle waren in mir erloschen. Ich haßte Pietro nicht, weil er mir das
angetan hatte. Dabei wäre es besser gewesen, wenn ich ihn hätte hassen
können, aber ich konnte es nicht, ich war einfach wie tot. Nicht nur
ihm gegenüber, sondern allem gegenüber. Nach einer Weile ging ich
gelegentlich wieder aus. Ein- oder zweimal versuchte ich auch mit einem
Mann zu schlafen – mit attraktiven, männlichen Männern, die
mich sehr gern hatten. Aber ich empfand nicht nur nichts dabei, sondern
es war für mich seltsamerweise auch erniedrigend, lästig.
Pietro sah ich nach seiner Scheidung noch einige Male. Ich bin
sogar mit ihm ins Bett gegangen, aber es war alles tot, hoffnungslos.
Dann schienen meine Gefühle ganz zu erstarren – das war vor
etwa zwei Jahren –, und von da an ging ich überhaupt nicht
mehr mit Männern aus. Ich finde nichts mehr an Männern, ich empfinde
nichts mehr für sie. Deswegen kann ich dich in den Armen halten und
mich von dir halten lassen, kann mich sogar sehr wohl und getröstet
dabei fühlen, aber mehr nicht. Nicht wie Frau und Mann. Dieses Erlebnis
hat mich als Frau zerstört. Ich würde sagen, wir sind ein Paar, das
ziemlich gut zueinander paßt.«
Sie hatte ihre Füße aus dem Wasser gezogen und abgetrocknet
und half mir jetzt, die meinen aus der Wanne zu heben. Während ich auf
dem Rand saß, tupfte sie meinen Knöchel behutsam mit einem Handtuch ab.
»Es ist nichts Neues, daß eine Frau ihren Mann an die beste
Freundin verliert, aber warum lebte er einfach weiter mit mir, schlief
mit mir und gab mir das Gefühl, Teil seines Körpers, die einzige Frau
für ihn zu sein? Ich könnte es noch begreifen, wenn sie nichts weiter
als eine kurze Affäre gehabt hätten, solange Flora in Como war. Sie ist
so unheimlich sexy und attraktiv, das ganze Gegenteil von mir. Aber
warum hat er es fortgesetzt? Die Briefe und die heimlichen Besuche.
Warum hat er mich nicht verlassen? Schließlich war ich nicht mit ihm
verheiratet. Er war nicht an mich gebunden. Aber … er hörte
eben nicht auf, mich zu lieben. Und, weißt du …«
Sie half mir auf, und ich humpelte, auf ihre Schulter
gestützt, in ihr Zimmer hinüber, wo ich mich lang auf dem Bett
ausstreckte. Ihre Augen standen voll Tränen. Sie setzte sich mit dem
Rücken zu mir auf die Bettkante. Ihre Schultern sanken herab.
»… weißt du, nachdem ich ihn nicht mehr sah und alles
vorbei war, da hat er Flora nie wiedergesehen. Schließlich verließ er
Como, weil es für uns beide die Hölle war, solange er da blieb. Aber
mit Flora hat er sich nie wieder in Verbindung gesetzt, obwohl er
anschließend mehrmals in Mailand war. Geschrieben hat er ihr auch nicht
mehr. Oder sie angerufen. Aber mir hat er geschrieben. Zauberhafte,
poesievolle Briefe, in die er sein ganzes Herz gelegt hatte. Ich habe
sie nicht beantwortet, es ist nichts mehr in mir, das reagieren kann.
Ich weiß nicht einmal, wo er jetzt ist. Ich will es auch gar nicht
wissen. Es ist so lange her. Und jetzt … jetzt bin ich beinahe
dreißig. Ich habe so viele gute Jahre geopfert … Nein,
geopfert ist nicht der richtige Ausdruck, ich habe sie vertan. Jahre, in denen ich ein Kind hätte haben können, eine Familie. In
Italien ist man mit dreißig als Frau sehr alt. Mit dreißig ist man eine
alte Jungfer. Dreißig bedeutet, daß man sitzengeblieben ist.
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