Der Schatz von Dongo
Geht es
deinem Fuß besser? Ich glaube, er ist ein bißchen weniger geschwollen.«
Jetzt liefen ihre Augen über, die Tränen rannen ihr über beide
Wangen. Sie legte den Kopf neben mich auf das Kissen, die Beine ließ
sie über den Bettrand hängen. »Das heißt nicht, daß ich dich nicht mag,
Paul. Ich mag dich wirklich. Du strömst eine warme Herzlichkeit aus,
und das habe ich immer vermißt.« Sie zog die Beine aufs Bett und drehte
sich auf den Rücken. In Gedanken war sie weit fort. Der Kratzer auf
ihrer Stirn leuchtete rot und war tiefer als ich anfänglich gedacht
hatte. Er lief in unregelmäßigen Zacken vom äußeren Rand der einen
Braue zum inneren Rand der anderen. Sie streckte tastend eine Hand aus,
bis sie auf meiner Wange ruhen blieb. Mit den Fingerspitzen strich sie
über meinen Wangenknochen.
»Es muß furchtbar für dich sein, Paul … impotent zu
sein«, sagte sie leise. »Aber so viele von uns sind impotent.«
Unsere Unterwasserexpedition bei Tremezzo,
die Suche nach den beiden Schatzsäcken, die angeblich von Hauptmann
Otto Kisnat dort in den See versenkt worden waren, sollte am nächsten
Morgen in aller Frühe beginnen. Doch da mein Knöchel noch immer
geschwollen und empfindlich war, machten sich Bis und Ted ohne uns auf
den Weg. Sie hatten die Erklärung, wir wären auf dem Rückweg von Dongo
in den Graben gefallen und hätten uns dabei die Knöchelverletzung und
die Kratzer geholt, ohne Verdacht zu schöpfen akzeptiert. Sie wollten
zu der kleinen Ortschaft Acquaseria fahren, wo sie eine
Dreißig-Fuß-Schaluppe mit sechs Schlafplätzen an Bord gechartert
hatten. Die Unterwasserausrüstung hatte Ted aus London mitgebracht, in
Acquaseria aber mußten noch Angelgeräte und Kombüsenvorräte besorgt
werden.
Von dort aus wollten sie dann nach Süden segeln, bei Tremezzo,
direkt vor der Villa Carlotta, ankern und, als angelnde Touristen
getarnt, das Wasser nach dem Kisnat-Schatz absuchen. Es würde
mindestens einen Tag dauern, bis sie das Boot ausgerüstet und nach
Tremezzo gebracht hatten, daher wollte ich am nächsten Tag dorthin
nachkommen. Doch bevor sie starteten, humpelte ich noch einmal über den
Flur zu Dans Zimmer, weil ich versuchen wollte, ihn zum Mitkommen zu
bewegen. Es wäre günstiger, drei Mann auf dem Boot zu haben.
Die Läden von Dans Zimmer waren geschlossen, die Fenster
ebenfalls. Es war drückend heiß, und es roch ekelerregend nach Schnaps,
kalten Zigaretten und ungegessenen Mahlzeiten. Ich stieß die Fenster
auf.
»Mein Gott, was für ein stinkender Brutkasten! Kannst du nicht
bei offenem Fenster saufen?«
»Und wer hat dich mit deiner empfindlichen Nase hereingebeten?«
»Die Sektion Zonico der anonymen Alkoholiker.«
»Ich möchte eines klarstellen.« Dan sprach in würdevollem Ton.
»Ich trinke zwar, aber ich bin keineswegs betrunken.« Er war stockblau.
»Gut. Was würdest du dann von einem netten, kleinen
Bootsausflug auf den Comer See halten? Bis und Ted fahren jetzt nach
Tremezzo und könnten dich gut an Bord gebrauchen. Und für dich wäre es
sicher auch besser.«
»Nein. Ich kann meinen Schmollwinkel noch nicht verlassen.«
»Du meinst wohl, deinen Stinkwinkel. Verdammt, was willst du
damit erreichen, Dan? Willst du beweisen, daß man in seinem eigenen
Dreck ersticken kann? Also, jetzt komm, rasier dir die schmutzigen
Stoppeln 'runter, spül dir den Mund aus, und ich sage inzwischen Ted,
daß er warten soll, bis du 'runterkommst.«
»Kommt nicht in Frage. Kommt überhaupt nicht in Frage. Ich
werde den ganzen Sommer in diesem Zimmer bleiben. Und jetzt schließe
bitte Fenster und Läden und mach, daß du 'rauskommst.«
»Dan, du Idiot! Weißt du denn nicht, daß dieses ganze Theater
längst aus der Mode gekommen ist? Mann mit gebrochenem Herzen
verkriecht sich in dunkles Zimmer und trinkt sich um den Verstand, um
dadurch das Mitleid und Mitgefühl der ganzen Welt auf sich zu lenken.
Glaubst du vielleicht, daß Natalie von deiner Misere Wind
bekommt – obwohl das bei dem Gestank hier durchaus möglich
wäre – und an deine Seite eilt, um dich den Klauen des
Ungeheuers Alkohol zu entreißen? Oder genießt du einfach einen
herrlichen, masochistischen Nervenkitzel, die Rolle des braven
Seemanns, der an den dräuenden Küsten der hinterlistigen Natalie
gestrandet ist?«
»Ach was, ich scheiße auf dich, Paul! Bitte, verschwinde aus
meinem Allerheiligsten, ich scheiße auf dich. Verstehst du denn nicht,
daß ich kein gewöhnlicher Sterblicher bin? Was du
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