Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)
in die Enge treiben, verhaften und durch das Mannloch nach draußen schaffen. Soweit die Theorie. In der Praxis würde sich die Aktion allerdings schwieriger gestalten. Darüber machte sich der Offiziant keine Illusionen.
Plötzlich entdeckte Boysen einen Mann vor sich. Im ersten Moment glaubte er, es mit dem Gesuchten zu tun zu haben. Aber der verrückte Russe hatte ein Buscherum getragen, während dieser Kedelklopper mit einem verschwitzten grünen Leibchen bekleidet war.
Nun bemerkte auch der Arbeiter den Polizisten. Er reagierte auf seine Art, indem er nicht mehr auf das Rohr einschlug. Stattdessen ging er mit dem Hammer auf Boysen los.
Nach einem Grund für die Feindseligkeit musste der Offiziant nicht fragen. Viele Kedelklopper hassten die Polizei, weil sie in ihr einen natürlichen Feind sahen. Schließlich repräsentierten Boysen und seine Kollegen eine Gesellschaftsordnung, in der Männer für einen Hungerlohn menschenunwürdig schuften mussten.
Doch dies war nicht der Moment für politische Betrachtungen. Wenn Boysen die nächsten Minuten überleben wollte, musste er kämpfen.
Der Offiziant wich dem Hammerschlag im letzten Moment aus. Der Kedelklopper wurde durch seinen eigenen Schwung nach vorn gerissen. Diese Tatsache nutzte Boysen. Er krallte sich in das Haar seines Widersachers und ließ den Schädel des Angreifers gegen eines der eisernen Rohre krachen.
Der Mann erschlaffte. Bewusstlos sackte er in sich zusammen. Boysen nahm den Hammer und schleuderte ihn irgendwo in die Finsternis. Er verzichtete darauf, dem Kedelklopper Handschellen anzulegen. Der Offiziant war auch nicht erpicht darauf, seinen ohnmächtigen Gegner wegen Angriffs auf eine Amtsperson zu belangen. Für ihn zählte nur, den verrückten Russen zu erwischen.
Boysen drang weiter in die von Menschenhand geschaffene Hölle vor. Es war ihm unmöglich, sich im Inneren des riesigen Dampfkessels zu orientieren. Entfernungen konnten nur schwer abgeschätzt werden. Irgendwo brannten zwei oder drei verschiedene Karbidlampen. Aber Boysen hätte nicht einschätzen können, wie weit sie von ihm entfernt waren.
Wie ein Blitz aus heiterem Himmel traf ihn ein heftiger Schmerz am linken Rippenbogen. Boysen rang nach Luft. Er wurde zur Seite geschleudert, verlor seine Blendlaterne. Offenbar hatte ihm jemand einen langen Hammerstiel in die Flanke gerammt, wie er im nächsten Moment erkannte.
Und Boysen musste nicht lange darüber nachdenken, wer dieser Jemand gewesen war. Im Licht der etwas entfernt liegenden Blendlaterne sah Boysen den verrückten Russen. Pjotr hatte sich offenbar in der Dunkelheit verborgen gehabt. Nun setzte er nach, um den Udel endgültig zu erledigen.
Der Kedelklopper hatte ein Messer in der Faust. Die Klinge war schwarz, wahrscheinlich von getrocknetem Blut. Der Stauervize hatte also nicht übertrieben. Aber Boysen konnte sich in diesem Moment nicht wirklich darüber freuen.
Denn Pjotr stürzte sich nun auf den am Boden liegenden Polizisten!
Ein verbissener Kampf auf Leben und Tod begann. Der verrückte Russe war durch seine schweißtreibende Knochenarbeit gestählt. Andererseits verlieh die Todesangst Boysen Kräfte, von denen er bisher nichts geahnt hatte. Sein Leben hing buchstäblich davon ab, dass er Pjotrs rechtes Handgelenk nicht losließ. Der Angreifer drückte mit aller Macht, und die Messerspitze näherte sich Zentimeter für Zentimeter Boysens Brustkorb.
Der Offiziant lag halb auf seinem rechten Arm. Unter Auferbietung aller Kräfte schaffte er es, seine freie Hand unter seinem Körper hervorzuziehen. Er spürte, dass er sich dringend befreien musste. Dazu gab es nur eine Möglichkeit.
Mit der rechten Hand zog Boysen seinen Sechsschüsser aus dem Waffenrock. Er beglückwünschte sich selbst dazu, dass er den Revolverhahn schon zuvor gespannt hatte. Nun war die Waffe bereits schussbereit.
Boysen zog den Stecher durch. Die Kugel drang in Pjotrs Kehle ein und zerfetzte seine Halsschlagader. Der Offiziant hustete, als eine riesige Ladung Blut in seinem Gesicht landete. Der verrückte Russe kippte zur Seite.
Boysen wusste, dass sein Widersacher tot war. Jetzt musste er selbst nur noch lebend aus dem Kessel herauskommen. Die übrigen Kedelklopper würden nicht begeistert davon sein, dass der Offiziant einen von ihnen erschossen hatte.
Anna Dierks lächelte ihren Begleiter an und hakte sich bei ihm ein, als Paul Schröder ihr beim Verlassen des Tilburys behilflich war.
Die junge Frau war nicht so auf
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