Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
Vom Netzwerk:
dürfen, wird man mich mehr respektieren , dachte Anna. Doch eine solche Vorstellung war weit von ihrer Lebenswirklichkeit entfernt. Ganz zu schweigen von der Idee, dass Damen in der Hamburgischen Bürgerschaft als Abgeordnete sitzen würden.
    Das erschien Anna nun wirklich völlig utopisch. Lächelnd schlenderte sie ein wenig abseits des Festtrubels außen am Pavillon entlang. Insgeheim hoffte sie, dass ihr Begleiter sie möglichst lange suchen musste. Desto kürzer würde die Zeit ausfallen, die sie an seiner Seite verbringen musste. Spätestens um Mitternacht hatte Herr Paul Schröder Anna nämlich wieder bei ihren Eltern abzuliefern, wenn er sie nicht kompromittieren wollte.
    Anna genoss die milde Nachtluft. Die Erinnerung an den Pestilenz-Gestank des Gängeviertels ließ ihr die saubere Elbbrise als doppelt kostbar erscheinen. Plötzlich hörte sie Männerstimmen vor sich.
    »Und was macht Carl, der alte Stecher?«
    Anna blieb wie angewurzelt stehen. Im Halbdunkel bemerkte sie drei junge Männer im Smoking. Die Herren hatten Annas Anwesenheit nicht registriert, denn sie saßen nebeneinander auf dem Anlegesteg und ließen die Beine über den Rand baumeln. Ihre Stimmen klangen, als ob sie nicht beim alkoholfreien Punsch geblieben wären.
    Eigentlich gehörte es sich für eine junge Dame nicht, fremde Menschen zu belauschen. Aber in diesem Moment siegte Annas Neugier über ihre gute Erziehung. Außerdem wollte sie ja gar nicht das Gespräch mithören, sondern die Nachtluft genießen. Mit diesem Gedanken rechtfertigte sie sich selbst und blieb mucksmäuschenstill.
    »Carl wird sich wieder im Gängeviertel rumtreiben.« War das die Stimme von Sönke, dem Erstgeborenen von Konsul Hinrichs? Anna war nicht sicher. Fest stand, dass der Sprecher betrunken war. »Die kleinen Hafenflittchen haben es ihm angetan, schätze ich. Die sind ja auch nicht so spröde wie unsere Blankeneser Fräuleins hier.«
    Diese ungehörige Bemerkung schienen die beiden anderen Smokingträger unglaublich lustig zu finden.
    »Vor der Verlobung darfst du auf keinen Fall draufrutschen«, sinnierte der junge Herr, der ganz rechts saß. »Und außerdem musst du dich noch zurückhalten.«
    »Ich nicht«, behauptete der Mann, der wie Sönke Hinrichs klang. »Ich reite eine gnadenlose Attacke. Und wenn es passiert ist – dann war es eben ein Unfall!«
    Erneutes Gelächter quittierte seine Vorstellung davon, wie er eine ungewollte Schwangerschaft hervorrufen wollte.
    »Um auf Carl zurückzukommen – der wird sich noch die Syphilis holen, wenn der so weitermacht«, sagte der erste Sprecher.
    »Und wenn schon!« Sönke Hinrichs machte eine wegwerfende Handbewegung. »Der alte Lütke hat doch genug Reichsmark, um jeden Quacksalber von Hamburg zu bezahlen.«
    »Aber falls unser Freund Carl im Gängeviertel ein Messer zwischen die Rippen bekommt, nützt ihm das Geld seines alten Herrn auch nichts.«
    »Dem ist noch nie etwas passiert«, gab Sönke Hinrichs zu bedenken. »Manchmal kommt er tagelang nicht nach Hause. Unkraut vergeht nicht, sage ich immer. Wahrscheinlich ist die Familie froh, wenn sie ihn nicht so oft zu sehen kriegt.«
    Anna war geschockt über die rohen unflätigen Reden, die sie hier mit anhören musste. Solche Äußerungen hätte sie eher von einem Grobian wie Offiziant Boysen erwartet. Ihr wurde klar, dass die jungen Herren aus der gehobenen Gesellschaft auch nicht besser waren als die armen Schlucker aus dem Gängeviertel. Allerdings verfügten die Blankeneser Jungmänner über eine glatte Fassade, hinter der man auf den ersten Blick nicht so viel Verworfenheit vermutet hätte.
    Da erblickte Anna am anderen Ende des Bootsstegs ihren segelohrigen Begleiter. Er war stehengeblieben und schaute sich suchend um. Sie eilte auf ihn zu. Die drei angetrunkenen Herren hatten die Lauscherin nicht bemerkt. Und dabei sollte es auch bleiben, wenn es nach ihr ging.
    »Fräulein Dierks, wo waren Sie denn nur?«, fragte Paul Schröder. »Ich war bereits in Sorge um Sie und habe Sie gesucht.«
    »Ich hielt ebenfalls Ausschau nach Ihnen«, schwindelte Anna und nahm das Glas mit Früchtepunsch entgegen.
    Paul Schröder prostete ihr zu und begann damit, sich über das erfolgreiche Unternehmen seines Vaters auszulassen. Anna heuchelte Interesse, während sie ihren eigenen Gedanken nachhing.
    Die drei alkoholisierten Ballbesucher hatten offenbar über Carl Lütke gesprochen, den Anna aber nur vom Sehen kannte. Blankenese war zwar ein kleiner Stadtteil, aber

Weitere Kostenlose Bücher