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Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition)

Titel: Der Schauermann - Historischer Thriller (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Barkawitz
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ihr Vater hatte geschäftlich nichts mit der Familie Lütke zu tun. Und auch im Vereinsleben waren sich Friedrich Dierks und Theodor Lütke offenbar niemals über den Weg gelaufen. Das gesellschaftliche Leben der Hamburger guten Gesellschaft folgte strengen Reglements.
    Aber was hatte Carl Lütke mit dem Gängeviertel zu tun?
    Anna war zwar von ihren Eltern niemals sexuell aufgeklärt worden, aber sie wusste trotzdem, was im Bett zwischen Mann und Frau geschah. Bei ihren Besuchen in den armen Stadtteilen hatte sie mehr an Geschlechtlichkeit gesehen und gehört, als ihr lieb war. Trieb sich dieser Carl Lütke also wirklich mit gefallenen Mädchen herum?
    Anna hatte die Männer, die mit solchen armen Geschöpfen ihren Trieb befriedigten, immer nur verachtet. Aber sie war bisher davon ausgegangen, dass solche zahlungswilligen Kunden nicht aus ihren eigenen Kreisen stammten. Offenbar musste sie sich von dieser naiven Vorstellung verabschieden. Ob der segelohrige Paul Schröder auch schon einmal eine Venusdienerin aufgesucht hatte?
    »Ich wüsste gern, was Sie jetzt denken, Fräulein Dierks«, sagte ihr Gegenüber strahlend. »Da ist so ein seltsamer Glanz in Ihren schönen Augen ...«
    »Wirklich?« Anna errötete. Um nichts in der Welt durfte Paul Schröder erfahren, was ihr gerade durch den Kopf gegangen war. »Ich ... äh ... würde jetzt gerne tanzen, Herr Schröder.«
    Sie stellte ihr leeres Glas auf einem Tischchen ab. Ihr Begleiter führte sie auf die Tanzfläche. Die Kapelle spielte einen Wiener Walzer.
    Anna begann sich im Rhythmus der Musik zu drehen. Sie war keine besonders gute Tänzerin, aber auch Paul Schröders Fähigkeiten hielten sich in dieser Hinsicht in Grenzen.
    Die Gedanken schwirrten durch ihren Kopf wie Bienen durch einen Bienenstock. Anna dachte an Offiziant Boysen und an Carl Lütke. Sie sah innerlich die Cholera-Kranken vor sich und das furchtbar zugerichtete Mordopfer. Außerdem erinnerte sie sich an die Begegnung mit dem Mann, der Thea Kramer töten wollte. Und an den Polen, der beinahe von der Menschenmenge gelyncht worden wäre. Was ergab das alles für einen Sinn?
    Anna benötigte keinen Alkohol, damit sich in ihrem Kopf alles drehte.

 
     
     
    5. Kapitel: Sackgassen
     
    Boysen konnte kaum glauben, dass er noch am Leben war. Aber Boysen stand wirklich an der Reling des Frachters, in dessen Dampfkessel er einen tödlichen Kampf ausgefochten hatte. Der Offiziant war zwar blutverschmiert, aber es war ja nicht sein eigener Lebenssaft, der sein Gesicht und seine Uniform bedeckte. Boysen war zufrieden und paffte eine ovale türkische Zigarette, als ob ihm die Welt gehören würde. Und so fühlte er sich in diesem Moment auch.
    Er schaute zu, wie einige Constabler mit Hilfe eines Seils Pjotrs Leiche durch das Mannloch zogen. Mehrere Schauermänner liefen zusammen, um zu glotzen. Doch Stauervize Borsig machte ihnen Beine.
    »An die Arbeit mit euch! Ihr werdet nicht dafür bezahlt, Maulaffen feilzuhalten!«
    Nachdem Boysen den verrückten Russen erschossen hatte, glaubte er in der Falle zu sitzen. Die anderen Kedelklopper würden niemals einen Udel in Frieden lassen, der für den Tod eines ihrer Kameraden verantwortlich war. Boysen hatte sich schon bereit gemacht, seine Haut so teuer wie möglich zu verkaufen. Doch dann waren plötzlich drei Constabler durch das Mannloch gestiegen und hatten ihn nach draußen begleitet. Das Erscheinen der Verstärkung hatte den Kedelkloppern die Lust auf eine Konfrontation mit der Ordnungsmacht genommen.
    »Ihr seid genau im richtigen Moment erschienen, Männer«, sagte Boysen zu Constabler Tobergte, der die Bergung von Pjotrs Leiche leitete. »Aber wieso wusstet ihr, dass ich in Bedrängnis war?«
    »Das wussten wir nicht, Offiziant Boysen. Aber wir hatten telegrafische Order vom Stadthaus, Sie zu suchen. Offiziant Lohmann erinnerte sich, dass sie auf diesem Schiff einen Zeugen befragen wollten. Also kamen wir hierher.«
    »So, so – Order vom Stadthaus.« Boysen schwante Übles. Wenn die Vorgesetzten nach ihm verlangten, war das stets ein schlechtes Zeichen. »Und was will das Stadthaus von mir?«
    »Eine weitere zerfleischte Frauensperson wurde gefunden, heißt es. Sie liegt am Johannisbollwerk. Die Tat soll erst vor einer Stunde geschehen sein.«
    Der Offiziant fluchte und zückte seine Taschenuhr, warf einen Blick auf das Zifferblatt. Wenn die Zeit stimmte, dann konnte Pjotr nicht der Täter sein – jedenfalls nicht bei diesem Mord. Zu der Stunde, als

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