DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
mehr blieb.»
Wie immer einigten sie sich, die Hitzköpfe kühlten ab. «Man hilft dem Mädchen, das man eben noch bekämpft hat, galant in den Mantel, sagt sich auf Wiedersehen bis zum nächsten Dienstag.»
Oder eben – wie sich die Zeiten ändern! – bis zum nächsten Sonntalk.
Wie Schawinski zum Schweizer Fernsehen kommt und haarscharf an der Weltgeschichte vorbeischrammt
57 arme Schweine und ein Blutbad in der Hotelhalle
Freitag, 12. Februar 1999 auf Tele 24: Hauptmeldung in den Swissnews ist das Ende des Impeachment-Verfahrens gegen Bill Clinton. Moderatorin Daniela Lager ist sichtlich um eine dem Ereignis angemessene Haltung bemüht; neben ihr am Tischchen steht Reinhard Meier von der Neuen Zürcher Zeitung und gibt erste Einschätzungen zum Freispruch des amerikanischen Präsidenten. Meier wirkt wie ein Lehrer, der seiner Schülerin die Welt erklärt.
Reinhard «Reini» Meier ist nicht nur USA-Spezialist der renommiertesten Schweizer Tageszeitung, nein, er ist auch seit fast vierzig Jahren mit Roger Schawinski befreundet. Zusammen besuchten sie von 1960 bis 1964 die Handelschule Freudenberg («Roger war ein ziemlich schlechter Schüler und redete immer vom Aufgeben»); zusammen tuckerten sie an freien Nachmittagen mit dem Motorboot von Reinis Vater über den Zürichsee («Einmal trafen wir auf der Halbinsel Au zwei Mädchen, die gerade mit der Fähre nach Meilen wollten. «Kommt doch mit uns», schäkerte Roger, doch mitten auf dem See zog ein Sturm auf, und nur mit letzter Not schafften wir es ans Ufer.»); zusammen waren sie erschüttert über den Mord an John F. Kennedy; und zusammen marschierten sie 1968, nach dem Intervention des Warschauer Pakts in der Tschechoslowakei, durch die Zürcher Altstadt und schrien wütend «Dubcek, Svoboda».
Dabei war spätestens jetzt, nach der brutalen Niederschlagung des Prager Frühlings, nicht mehr so eindeutig, wer nun eigentlich auf der Welt das Gute und das Böse verkörpert. Also kümmerten sich die beiden Freunde erst einmal um ihr berufliches Weiterkommen. Während sich Reini Meier als Volontär bei der etablierten Neuen Zürcher Zeitung versuchte, landete Schawinski ausgerechnet an der Hochschule St. Gallen, der renommierten Kaderschmide zukünftiger Wirtschaftskapitäne. Dort sorgte er allerdings mit einer Brandrede gegen den Vietnamkrieg für heisse Köpfe, was prompt vom Staatsschutz fichiert wurde – mit dem Vermerk: «raffinierte Argumentation, politischer Standort unklar».
Allmählich verlagerte sich das politische Augenmerk in Richtung Lateinamerika: Sozialistisches Experiment, Kampf gegen die imperialistischen Yankees und gegen die Ausbeutung der dritten Welt. Im Windschatten von Comandante Ernesto «Che» Guevara fühlten sie sich wohler als bei Leonid Iljitsch Breschnew, Mao Tse Tung oder Ho Tschi Minh.
Kurz bevor Meier als Journalist beim Argentinischen Tageblatt in Buenos Aires anheuerte, lernte Schawinski im Zwischenjahr an der Universität Michigan die puertoricanische Studentin Priscilla Colon kennen, die er am 20. August 1970 in San Juan heiratete. Die Flitterwochen kombinierte er gleich mit der Feldarbeit für seine Doktorarbeit über «Die sozio-ökonomischen Faktoren des Fremdenverkehrs in Entwicklungsländern: Der Fall Guatemala».
Über weite Strecken liest sich Schawinskis Dissertation (gewidmet «meinen Freunden, den Schuhputzerjungen im Parque Central in Guatemala») so nüchtern wie ihr Titel, doch zur Auflockerung gibt es zum Beispiel eine Passage über «landschaftliche Schönheiten»: «Die 33 Vulkane parallel zur Pazifikküste sind äusserst attraktiv, und schon 1939 wollte John L. Stephens, einer der ersten Touristen Guatemalas, einen dieser Vulkane für ganze $ 10 kaufen, um ihn ähnlich den Niagara-Fällen touristisch auszuwerten.» Allerdings habe der Miteinbezug von Vulkanen in Fremdenverkehrsprojekten seine Tücken: «In El Salvador baute man auf dem Izalco-Vulkan ein Hotel, damit die Touristen die regelmässigen Ausbrüche beobachten können. Doch kaum war das Hotel erstellt, setzte diese Vulkantätigkeit aus.»
Zwischen den «Wirkungen der Importsubstitution» und der «Anwendung des Einkommensmultiplikators» drückt bei Schawinski immer auch das Mitgefühl für Minderheiten durch. «Das Interesse der Touristen aus den Industrieländern für die Indios mag wohl zu einigen negativen Erscheinungen führen», hielt er fest. «So ist zu erwarten, dass sich über Jahrhunderte hinweg erhaltene Bräuche unter dem
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