DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
erfahren. Dort habe er am Samstagmorgen im Sportteil der druckfrischen Times das Interview mit dem englischen Fussball-Nationaltrainer Glenn Hoddle gelesen, der da behauptete, behinderte Menschen müssten für Sünden aus einem früheren Leben büssen.
«Unerhört», ruft Schawinski aus, «ein Skandal!» (Tatsächlich: Am nächsten Tag wird Englands Premierminister Tony Blair den Rücktritt des Trainers fordern.)
Was das Publikum nicht erfährt: Schawinski war in London, um Kevin zu treffen, seinen 18jährigen Sohn aus zweiter Ehe, der in Cambridge studiert. Doch schon bei der Begrüssung herrschte dicke Luft. Nach einer heftigen Auseinandersetzung knallte ihm Kevin die Kreditkarte vor die Füsse. Er wolle endlich sein eigenes Leben führen und habe genug vom Vater, der immer alles besser wisse.
Kurz vor Mitternacht trennten sich die Hitzköpfe, und Kevin schlug sich die Nacht allein und ohne Geld auf dem Flughafen um die Ohren.
«Teenager sind masslos und unberechenbar», sagt Schawinski, «ein falsches Wort, und sie explodieren!» Kevin komme jetzt eben in die Phase, in der er auf eigenen Beinen stehen und der Beste sein wolle. Langsam realisiere er, was für eine erfolgreiche Karriere sein Vater habe und wie hoch die Messlatte liege.
«In seinen Augen bin ich eine gewaltige Herausforderung – in diesem Sinn hat er es viel schwerer als ich es damals hatte.»
«Das ist es, was die Jugendlichen erreichen wollen: Sie wollen sich nicht dirigieren lassen – sie wollen sich selbst dirigieren.» Das schrieb der 18jährige Roger Schawinski in einem Schulaufsatz. Aus seinem Drang nach Unabhängigkeit habe er begonnen, sich selbst zu erziehen. «Bei mir hat das zeitweise zu grotesken Formen geführt: Ich wollte mir beweisen, dass mein Verstand meinen Körper beherrsche, und ich ass aus diesem Grund einen Tag lang rein nichts – mein Wille hatte meinen Körper besiegt. Ich kenne kein grösseres Gefühl der Genugtuung, als den Sieg über mich selbst.»
Genau wie bei Kevin regte sich in ihm der Wille, sich aufzulehnen. «Ich glaube zu wissen, was recht und was unrecht ist und versuche danach zu handeln», behauptete der Schüler, «es gibt aber Momente, wo sich in mir eine Opposition gegen die bestehende Gesellschaft breitmacht (man hat mir gesagt, dass das in meinem Alter natürlich sei), die ich versuche zu unterdrücken. In diesen Augenblicken möchte ich etwas Schockierendes in aller Öffentlichkeit tun, irgend etwas, was mir gefällt. Glücklicherweise kann ich mich aber immer noch beherrschen, meine Gedanken in die Tat umzusetzen.»
Noch im selben Jahr engagierte er sich als Leiter einer Jugendgruppe. «Indem ich versuche, andere zu erziehen, bin ich für sie ein Vorbild, zu dem sie aufschauen, und so muss ich mich als Vorbild benehmen. Ein Beispiel: Ich hatte früher die Angewohnheit, öfters zu fluchen, dies musste ich mir in jenem Moment abgewöhnen, als ich meine Tätigkeit aufnahm.»
An den Kadersitzungen habe er gelernt, sich mit Worten durchzusetzen. «Ich räkle mich etwas aus meinem Stuhl hervor, stütze die Arme auf den Tisch und beginne meine Argumente darzulegen», beschrieb er. «Hie und da lässt einer spitze persönliche Bemerkungen fallen, die entweder ignoriert werden oder über die man sich offen aufregt und vielleicht ebenso scharf antwortet.»
Es war bei Traktandum Nr. 7 – «ausgerechnet bei dieser kleinen, unbedeutenden Detailfrage» –, als sich Schawinski in Szene setzte: «Ich bin gerade daran, den Vorschlag meines Kollegen zu zerpflücken, zu zerreissen. Als ich geendet habe, lehne ich mich befriedigt zurück und schaue im Kreis umher. , denke ich. Andere beginnen zu sprechen, und ich überlege mir, was ich eigentlich gerade gesagt habe. Ich lasse meine Argumente vor meinem geistigen Auge noch einmal Revue passieren und stelle fest, dass meine eigenen Argumente mich gar nicht überzeugt haben. Auf einmal wird es mir klar: Dieser Punkt interessiert mich gar nicht so sehr, wie ich vorgegeben habe. Allein die Freude an der Diskussion bewog mich, den Vorschlag so zu sezieren, dass an ihm kein gutes Härchen
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