DER SCHAWINSKI CODE – Die Biografie von Roger Schawinski (German Edition)
Klicken von Tausenden von Fotoapparaten sinnentleeren und aus blossen Geschäftsmotiven weiterhin ausgeübt werden.»
An anderer Stelle zitiert der Wirtschaftsstudent aus einer Novelle des guatemaltekischen Nobelpreisträger Miguel Angel Asturias: Ein Reiseleiter mit einer Gruppe nordamerikanischer Touristen fühlt sich als Komplize der «Invasoren» und steuert in einem Akt der Verzweifung den Bus in einen Abgrund, um sich zusammen mit den «Gringos» umzubringen.
Nicht alle gönnten dem reisefreudigen Sonnyboy die Doktorwürde. Professor Claude Kaspar hingegen betont das besondere Verdienst der Arbeit: «Sie ist in einer Zeit entstanden, als noch niemand die negativen Aspekte des Tourismus zur Kenntnis nehmen wollte», sagt er. Im übrigen sei ihm dieser Schawinski «sofort als brillanter Kopf aufgefallen». Er habe sich ja auch später überall mit Erfolg durchgeschlängelt.
Dass Schawinski irgendwann beim Fernsehen landen würde, hätte man – etwas guten Willen vorausgesetzt – bereits 1958 ahnen können. Damals spazierte unangemeldet ein 13jähriger Bub in das Studio Bellerive, um sich von seinem heimlichen TV-Schatz Heidi Abel persönlich die Welt hinter den Kulissen zeigen zu lassen.
Logisch, hatte er 11 Jahre später keine Skrupel, als er sich an einem Mittwochabend über einen lausigen Beitrag in der Rundschau über amerikanische Universitäten ärgerte. Sofort setzte sich der 24jährige an seine Schreibmaschine und tippte einen Brief, in dem er klarstellte, dass es zu diesem Thema einen Experten gebe: nämlich ihn selbst. Immerhin habe er soeben an der Central Michigan University studiert und mit dem Master of Business Administration (MBA) abgeschlossen. Adressat: Hans O. Staub, Chef der Rundschau.
Zwei Wochen später meldete sich Mitarbeiter Erich Gysling und bestellte den jungen Tadler ins Fernsehstudio Leutschenbach. «Beweisen Sie mir Ihr Flair für unser Medium», forderte er, legte eine 16-Millimeter-Spule auf den Tisch und erklärte kurz die Apparate.
Zwei Tage lang beschäftigte sich Roger Schawinski mit dem Autounfall von Edward Kennedy, bei dem seine junge Begleiterin ums Leben gekommen war. Viel zu lange, wie er glaubte. Doch der 33jährige Redaktor staunte: «Was, schon fertig?»
Mit seinem Wohlwollen ermöglichte Gysling Schawinski den Einstieg in die Fernsehwelt. «Zwar würde ich gerne als Entdecker von Roger Schawinski in die Geschichte eingehen», sagt Gysling heute, «doch ich muss betonen: Der wahre Entdecker von Roger Schawinski ist und bleibt Roger Schawinski selbst!»
Bald realisierte der Debütant eigene Filmbeiträge. Das erste Thema: Die Krise in der Schweizer Schuhindustrie. Mit Regisseur, Kameramann und Tönler besuchte er unter anderem die Firma Raichle. Nach dem Dreh durfte sich die ganze Equipe im Showroom etwas aussuchen. «Das geht doch nicht!» dachte er aufgeregt. Doch die anderen liessen sich nichts anmerken. Um nicht aus der Reihe zu tanzen, habe er schliesslich zu einem roten Paar Skischuhen gegriffen. Im Rückblick bezeichnet Schawinski diesen Ausrutscher als traumatisches Erlebnis, das ihn noch jahrelang beschäftigt habe. «Ganz ehrlich», beteuert er, «es war das erste und letzte Mal!»
Sommer 1972, an einer Redaktionssitzung der Rundschau: Schawinski schlägt vor, in Chile einen Film über den demokratischen Sozialismus von Salvador Allende zu drehen. Auf dem Weg dorthin wolle er gleich in Argentinien vorbeischauen und ein paar Impressionen über die Tristesse von Buenos Aires einfangen. Etwas Melancholisches über den kulturellen Niedergang der einst gloriosen Stadt schwebe ihm vor, mit zerbröckelnden Prunkbauten und wehmütigen Tangoszenen. Drei Tage später packte er die Koffer.
Am Flughafen Ezeiza in Buenos Aires umarmte er seinen alten Kumpel Reini Meier. Sie schlürften Kaffee und fotografierten sich am Fuss der Reiterstatue des südamerikanischen Freiheitskämpfers José de San Martin. «So ein Held müsste man sein», phantasierten sie, «wenn auch nur in der Schweiz.»
Auf einmal hing alles drunter und drüber: Soeben sei der ehemalige Staatspräsident Juan Domingo Perón nach 17 Jahren im Exil mit einer Al-Italia-Maschine zurückgekehrt.
«Hey, das ist Weltgeschichte!» schrie Schawinski, und mit dem Taxi rasten sie zum Flughafen. Später filmten sie an der Pressekonferenz in jener Konditorei, wo sich Perón einst mit Evita zu Kaffee und Kuchen getroffen hatte. Tausende marschierten auf und skandierten «Perón, Perón, que grande soy».
Weitere Kostenlose Bücher