Der Scheich
Faden gehangen hatte, so wie immer, wenn er nachdachte. Der Geruch seiner Zigarette erfüllte das Schlafgemach. Einmal blieb er neben den Vorhängen stehen, und ihr Atem stockte, aber dann entfernte er sich wieder. Am anderen Ende des Zelts verstummten seine Schritte, und ein leises metallisches Klicken verriet, daß er seinen Revolver lud. Sie hörte, wie er die Waffe auf den Schreibtisch legte. Dann glitten seine Schritte wieder über die Teppiche. Seine Rastlosigkeit erweckte ihr Unbehagen. Seit dem Morgengrauen hatte er im Sattel gesessen. Eigentlich hätte er Saint Huberts Rat befolgen und sich noch ein paar Wochen schonen müssen. Warum ruhte er sich nicht aus? Wie achtlos er mit seiner Gesundheit umging!
Diana seufzte ungeduldig, und der zärtliche Glanz in ihren Augen nahm einen fast mütterlichen Ausdruck an. Trotz seiner neugewonnenen Kraft und seines lachenden Einspruchs gegen Raouls Warnung - begleitet von einem überzeugenden Duell im Armdrücken mit seinem weniger muskulösen Freund - würde sie niemals die Tage vergessen, als er hilflos wie ein Kind dagelegen hatte. Er war zu schwach gewesen, um auch nur eine Hand zu heben. Nichts würde diese Erinnerungen auslöschen, nichts konnte die Erkenntnis ändern, wie abhängig er von ihr gewesen war. Damals hatte er sie gebraucht. Dieses Wissen rief eine heiße Freude hervor, die sofort wieder verflog. Welch ein trügerisches Glück.
Endlich hörte sie den Diwan unter dem Gewicht des Scheichs knarren - aber erst als Gaston eine Mahlzeit servierte. Während Ahmed aß, begann er zu sprechen, und seine ersten Worte veranlaßten den Franzosen zu einem Schreckensruf, für den er sich hastig entschuldigte. Und dann hörte Diana andere Männer eintreten. Ahmed wandte sich an jeden einzelnen, und sie erkannte Yusefs klare, hohe Stimme. Offenbar stritt er mit dem einsilbigen Oberkameltreiber, dessen Wesen zu seinen heißgeliebten, übellaunigen Schützlingen paßte. Bald brachte ein scharfes Wort des Scheichs die beiden zum Schweigen. Zwei weitere Männer nahmen ihre Befehle mit einem leisen Räuspern zur Kenntnis.
Wenig später verließen sie das Zelt - alle bis auf Yusef, der, abwechselnd in Arabisch und Französisch, auf seinen Herrn einredete. Mit zunehmender Erregung verfiel er immer mehr in die Landessprache. Trotz ihres Kummers mußte Diana lächeln. Sie konnte sich vorstellen, wie er vor dem Scheich kauerte, blitzsauber und tadellos gekleidet, die schönen Augen rollte und unentwegt mit seinen schlanken Händen gestikulierte. Sein hübsches Gesicht war von jugendlicher Begeisterung und Bewunderung für seinen Scheich erhellt. Schließlich ging auch er hinaus.
Nur Gaston blieb zurück, mit der cafetière beschäftigt, seinem neuesten Spielzeug. Das Aroma von brodelndem Kaffee erfüllte das Zelt, und Diana malte sich aus, wie sich der Diener geschickt an dem Gerät aus zerbrechlichem Glas und Silber zu schaffen machte. Dann hörte sie den Löffel in der Tasse klirren, das Plätschern des heißen Getränks, das eingeschenkt wurde, und ein leises, dumpfes Geräusch, als die Untertasse auf dem Intarsientischchen landete.
Warum trank Ahmed französischen Kaffee, obwohl er doch immer klagte, danach könne er nicht schlafen? Abends zog er die arabische Art der Zubereitung vor. Schließlich mußte er sich in dieser Nacht ausruhen. Der anstrengendste Tag nach seiner Krankheit lag hinter ihm.
Eine Zeitlang ging Gaston im Nebenraum umher, und wie Diana den Geräuschen entnahm, stellte er verschiedene Dinge, die entfernt werden sollten, auf ein Tablett. Dann fragte seine Stimme etwas lauter als zuvor: «Monseigneur désire d'autre chose ?»
Offenbar schüttelte der Scheich nur den Kopf, weil keine Antwort durch die Vorhänge drang.
« Bon soir, Monseigneur. »
« Bon soir, Gaston. »
Hastig rang sie nach Luft. Während der Diener im Nebenraum gewesen war, hatte sie den Eindruck gewonnen, der erwartete Augenblick würde niemals eintreten. Nun wünschte sie, er wäre geblieben. Er stand zwischen ihr - und was? Zum erstenmal seit Saint Huberts Ankunft war sie wieder allein mit Ahmed - ganz allein. Nur die Vorhänge trennten sie - Stoffbahnen, die sie nicht beiseite schieben konnte. Es drängte sie, zu ihm hinüberzugehen. Doch sie wagte es nicht, hin und her gerissen zwischen Liebe und Angst. Und allmählich siegte die Furcht.
Bei der Erinnerung an eine Nacht in jenen wundervollen Wochen, die ihr jetzt wie ein Traum erschienen, stieg ein Schluchzen in ihrer Kehle auf.
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