Der Scheich
er Diana geradezu.
Sogar im Freien war die Luft stickig. Diana spähte ins Dunkel, konnte aber nichts sehen, da die dünne Mondsichel nur wenig Licht spendete. Dann trat sie unter der Markise hervor, um zu den glitzernden Sternen aufzublicken. Wie oft hatte sie den Nachthimmel in Ahmed Ben Hassans Armen betrachtet. Ohne die Sterne hätte sich Diana eine orientalische Nacht gar nicht vorstellen können, und Ahmed liebte das helle Gefunkel. Wenn er in der richtigen Stimmung war, konnte er sie unermüdlich beobachten. Manchmal hatten Diana und Ahmed bis zum Morgengrauen unter der Markise gesessen. Er nannte die Namen der Konstellationen und erzählte ihr zahlreiche arabische Legenden, die mit den Sternen zusammenhingen, bis Diana unter dem Klang seiner beruhigenden Stimme eingeschlafen war. Dann hatte er reglos dagesessen und sie im Arm gehalten, zum Firmament hinaufgestarrt und eine Zigarette nach der anderen geraucht. Würde sie jemals wieder, an Ahmed geschmiegt, die funkelnde blauschwarze Nacht bewundern und an der Wange seinen starken Herzschlag spüren? Der bloße Gedanke schnürte ihr die Kehle zu. Würde es jemals wieder so sein wie damals, vor Raoul de Saint Huberts Ankunft? Sie seufzte tief auf.
«Ist Madame müde?» vernahm sie eine leise, respektvolle Frage an ihrer Seite. Diana zuckte zusammen. Sie hatte den Diener völlig vergessen.
«Oh, es ist so heiß», antwortete sie ausweichend. «Und im Zelt war es furchtbar stickig.»
Stets versuchte Gaston, seine Ergebenheit auf praktische
Weise auszudrücken. «Madame veut du café?» schlug er höflich vor, um ihr sein Allheilmittel anzubieten, was ihr in diesem Augenblick fast lachhaft erschien.
Beinahe hätte sie hysterisch gekichert oder geschluchzt. Doch sie beherrschte sich. «Nein, dafür ist es zu spät.»
«In ein paar Minuten wäre der Kaffee fertig», drängte er. Offenbar wollte er sich die Freude nicht nehmen lassen, ihr zu dienen.
«Nein, Gaston, Kaffee macht mich nervös», antwortete sie freundlich.
Gaston seufzte bedrückt. Da er nicht an Nervosität litt, konnte er zu jeder Tages- und Nachtzeit Kaffee in unbegrenzten Mengen trinken. «Une limonade ?» beharrte er hoffnungsvoll.
Um ihm einen Gefallen zu tun, ließ sie sich das kühle Getränk bringen. «Monseigneur läßt heute auf sich warten», sagte sie langsam und spähte mit zusammengekniffenen Augen wieder in die Dunkelheit.
«Oh, er wird schon noch kommen», entgegnete Gaston zuversichtlich. «Kopec ist rastlos, wie immer vor Monseigneurs Rückkehr.»
Nachdenklich betrachtete sie die dunklen Umrisse des großen Hundes, der zu Füßen des Dieners lag. Nach einem letzten Blick auf die schimmernden Sterne ging sie ins Zelt. Das Gespräch mit Gaston, dem personifizierten gesunden Menschenverstand, hatte alle nervösen Ängste verscheucht. Vorhin hatte sie sich so in ihre unvernünftige Furcht hineingesteigert, daß sie ihn ganz vergessen hatte. Und dabei war er immer in Rufweite, treu und ergeben. Sie hob das Buch vom Boden auf, sank aufs Bett und zwang sich zu lesen. Obwohl ihre Augen den Zeilen mechanisch folgten, verstand sie den Text nicht. Unverwandt lauschte sie, um das erste Zeichen seiner Ankunft zu vernehmen.
Endlich war es soweit. Erst nur ein schwacher Hauch - heraufbeschworen von ihrem sehnsüchtigen Herzen, eine Intuition. Erwartungsvoll richtete sie sich auf, hielt den Atem an und lauschte angespannt. Und dann kam er ganz plötzlich an, denn im Dunkel war die kleine Reiterschar unsichtbar, bis sie das Lager erreichte, und die Hufschläge verursachten kein Geräusch. Rasch verebbte die Unruhe, die Ahmed Ben Hassans Heimkehr ausgelöst hatte. Nur wenige Minuten lang drang Stimmengewirr zu Diana hinüber, Geschirr klirrte, ein Pferd wieherte. Und in der Stille, die danach herrschte, hörte sie ihn ins Zelt treten.
Ihr Herz pochte so rasend, daß sie zu ersticken glaubte. Dann hörte sie Gemurmel, die leise Stimme des Scheichs, Gastons lebhafte Antwort, und wenig später eilte der Diener hinaus. Reglos wartete Diana, achtete auf jeden Laut, und ihre Finger krampften sich in die weiche Seidendecke. Sie atmete tief durch, um ihr heftig klopfendes Herz zu beruhigen. Trotz der Wärme fröstelte sie. Ihre Wangen waren bleich, sogar die Lippen farblos, und die Augen, auf die Vorhänge zwischen den Räumen gerichtet, glänzten fiebrig. Da sie genau wußte, was im Nebenraum geschah, glaubte sie, es zu sehen.
Jetzt ging er auf und ab, so wie in jener Nacht, als Gastons Leben an einem seidenen
Weitere Kostenlose Bücher