Der Scheich
den Gelüsten eines Mannes unterworfen zu sein, der das Recht besaß, in der Ehe uneingeschränkt Gehorsam zu fordern - dieser Gedanke erschien ihr gräßlich.»
Das wirft die folgende Frage auf: War E. M. Hull der Sexualität gegenüber positiv oder negativ eingestellt? Offenbar fand sie, eine Lady sollte den Liebesakt in der Theorie fürchten, bis ihr der richtige Mann in der Praxis die richtige Freude daran vermittelt. Es dauert eine Ewigkeit, bis Diana den Sex endlich genießen darf. Aber ihre körperlichen Reaktionen, die E. M. Hull beschreibt, widersprechen den nach außen hin gezeigten Gefühlen des Entsetzens und Ekels: «Die Berührung seiner heißen Lippen, seine machtvollen Arme und die Nähe seines warmen, muskulösen Körpers raubten ihr alle Willenskraft.»
Wieder einmal möchte E. M. Hull demonstrieren, wie Diana der Fleischeslust frönt, während der Geist unschuldig bleibt. Deshalb wird ständig auf Dianas knabenhafte Erscheinung und ihre Prüderie hingewiesen. «Sie ist kalt wie ein Fisch», klagt ein enttäuschter Bewunderer, «und sie hat nur Sport und Reisen im Kopf.» Als Diana einen Heiratsantrag ablehnt, erklärt sie: «Noch nie in meinem Leben wurde ich geküßt. Das gehört zu den Dingen, von denen ich nichts verstehe ... Für mich ist ein Mann nur ein Gefährte, mit dem ich reiten oder jagen oder angeln kann; ein Freund, ein Kamerad, mehr nicht.» Bezeichnenderweise fügt sie hinzu: «Gott hat mich als Frau erschaffen. Warum, weiß nur Er.»
So wird Dianas innerer Konflikt auf den Punkt gebracht: Auch wenn sie eigentlich einen «Gentleman» heiraten sollte, will sie es lieber mit einem Grobian treiben. In der Sprache des Romans wird alles Maskuline verherrlicht und alles Feminine als verachtenswert dargestellt - zumindest von Diana. Wenn sie wie ein «verdammt hübscher Junge» aussieht und sich auch so benimmt, ist ihr der Scheich ebenbürtig, denn in seinem unbeugsamen Charakter gibt es keine weichen weiblichen Züge. Er muß erst an einem schweren Fieber erkranken, ehe er Schwäche zeigen und Gefühle äußern darf.
Allerdings hat die konstante Herabwürdigung der Weiblichkeit zwei Seiten. Denn es ist die Aufgabe des Scheichs, eines echten Mannes, Dianas Wiedergeburt als echte Frau zu erzwingen.
«Warum habe ich Sie hierher gebracht?» spottet er. «Bon Dieu! Das wissen Sie nicht? Sind Sie denn keine Frau?»
Notgedrungen präsentiert sie sich im Abendkleid, das zufällig zusammen mit ihr entführt wurde, und kann es kaum erwarten, wieder ihre «Männerkluft» anzuziehen: Reithose und Stiefel. «Darin würde sie sich wieder wie die wahre Diana fühlen - Diana, der Junge, nicht mehr das zitternde weibliche Wesen, das letzte Nacht unter Tränen und Schmerzen geboren worden war ... Sie haßte ihn, sie haßte sich selbst, sie haßte die Schönheit, der sie dieses Grauen verdankte.»
Ahmed Ben Hassan findet Dianas knabenhaftes Flair reizvoll, aber er zieht es vor, wenn seine Geliebten sich wie hilflose Weibchen benehmen - zitternd, ohnmächtig und unterwürfig. «Wir zwingen unsere Frauen mit der Peitsche zum Gehorsam.» Und E. M. Hull scheint das zu befürworten - das ist die Kehrseite der Medaille. Wenn Gefahr droht, ist Hassan ein kraftvoller, unbesiegbarer Beschützer.
Hinter diesen Phantasien steht die nostalgische Sehnsucht nach der Rückkehr eindeutiger geschlechtlicher Unterschiede, die sich während des Krieges verwischt haben.
Die Frauen haben sich als stark und tüchtig erwiesen, gibt E. M. Hull zu verstehen, doch sie wünschen sich immer noch Männer, die stärker sind. Im geschichtlichen Zusammenhang gesehen, ist das ein nostalgischer Wunsch. Der Krieg hat die Männer körperlich und seelisch beschädigt, verstümmelt und demoralisiert. Nun brauchen sie selber Fürsorge und Schutz. Im Wüstenreich des «Scheichs» hingegen herrscht wieder die altbewährte Ordnung.
Alles verstehen heißt alles verzeihen. Ich glaube, der offenkundige Rassismus und der Sexismus des Romans können mit dem gesellschaftlichen Klima, in dem die Autorin lebte, erklärt oder sogar entschuldigt werden. Genaugenommen ist die Handlung des «Scheichs» blanker Unsinn. Die Sprache wirkt oft schwülstig, bis an die Grenze des Absurden. Und doch ist der Roman in seiner besonderen, faszinierenden Art ein Meisterwerk. Bedenken Sie - hier wendet sich die sexuelle Phantasie einer Frau direkt an die sexuellen Phantasien anderer Frauen, und zwar in einer Weise, die seither kaum übertroffen wurde. In der spärlichen
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