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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler
Autoren: Monika Feth
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ihr einmal erzählt hatte. Eine ihrer Nachbarinnen war eines Nachts plötzlich aus dem Schlaf geschreckt und hatte weinend gerufen: »Ich kann dir nicht helfen, mein Junge! Ich kann dir nicht helfen!«
    Ihr Mann hatte sie getröstet und beruhigt. Sie habe bloß einen bösen Traum gehabt, hatte er ihr gesagt. Aber sie hatte sich an keinen Traum erinnern können.
    Am folgenden Morgen hatten sie erfahren, dass ihr Sohn, der in einer Stadt am anderen Ende Deutschlands studierte, in dieser Nacht an einer Hirnblutung gestorben war.
    An diese Frau musste Imke jetzt denken. Hör auf, befahl sie sich selbst. Frau Bergerhausen liebt Katastrophen. Ihre Geschichten sind nicht deine. Geh ein paar Schritte. Lauf vor den Gedanken davon.
    Es war kalt draußen und sie fror trotz ihrer dicken Jacke. Sie vergrub die Hände in den Ärmeln und schaute sich um. Diese Landschaft übte noch immer ihren Zauber auf sie aus. Hier war sie angekommen. Endlich.
    Imke war auf halbem Weg zur Scheune, als sie ihn hörte.
    Den Bussard.
    Seinen Ruf hoch oben in der Luft und seinen Flügelschlag.
    Elegant landete er auf einem Zaunpfahl. Es lagen höchstens zehn, zwölf Meter zwischen ihnen. So nah war er noch nie herangekommen. Imke bewegte sich nicht. Sie stand ganz still und schaute zu ihm hinüber. Er erwiderte ihren Blick reglos und stumm.
    Eine Weile blieben sie so, dann drehte Imke sich langsam um und ging zum Haus zurück. Er war wieder da. Er würde wie früher Wache halten. Und nicht zulassen, dass Jette etwas zustieß.
     
    Merle ließ Wasser für den Abwasch einlaufen. Ben hatte sich über den Schmutz und die Unordnung aufgeregt. Erleichtert hatte sie sich mit Jette in die Arbeit gestürzt. Alles war besser, als herumzusitzen, Ben beim Grübeln zuzusehen und auf seine Ausfälle zu warten.
    Der altersschwache Boiler funktionierte nicht richtig. Das Wasser war nur lauwarm. Spülmittel hatten sie nicht gefunden. Deshalb hatte Merle Shampoo genommen. Es gab keinen Schwamm, nur ein paar alte Trockentücher voller Löcher, als hätten sich Motten an ihnen gütlich getan.
    Unter anderen Umständen hätte Merle die Situation komisch gefunden.
    Mina saß auf dem Sofa, den Kopf zur Seite geneigt, als horche sie auf etwas, das nur ihre Ohren erreichte. Ben schien nicht damit zurechtzukommen. Immer wieder warf er ihr finstere Blicke zu. Von Stunde zu Stunde wurde er fahriger. Er zerbiss sich die Unterlippe und kaute an den Nägeln.
    »Da braut sich was zusammen«, flüsterte Merle.
    »Vorsicht!« Jette faltete ein rot-grün kariertes Tuch auseinander. Eine tote Spinne fiel heraus und sie ließ das Tuch angewidert fallen.
    Jette hatte recht. Es war gefährlich, Ben zu reizen. Er suchte nur einen Sündenbock, an dem er seine Frustration abreagieren konnte. Wie sehr er sich in der kurzen Zeit verändert hatte.
    Merle erinnerte sich an ihren ersten Eindruck. Er hatte ihr gefallen. Mehr als das. Sie hatte Mina um seine tiefe Liebe zu  ihr beneidet. Woran lag es nur, dass sie immer auf die kaputten Typen abfuhr?
    »Was flüstert ihr denn da?«
    Ben war aufgestanden und kam nun um die Theke herum.
    Merle hielt mitten in der Bewegung inne. Bunt glitzernde Seifenbläschen zerplatzten auf ihren Handrücken. Sie konnte den Schaum knistern hören.
    »Schmiedet ihr Fluchtpläne?«
    Auch Jette bewegte sich nicht. Als wäre totale Reglosigkeit ein wirksamer Schutz.
    Ben hielt Merle das Messer an den Hals. Sie spürte die Kälte der Klinge. In ihren Ohren rauschte es.
    Seine sanfte Art, seine Fürsorglichkeit, alles nur Maske. Darunter war er kalt und besessen.
    Er würde sie töten.
    Merle zog den Kopf zurück, so weit sie konnte. Ben setzte ihr die Spitze des Messers auf die Haut und drückte sanft, beinah liebevoll zu. Etwas rollte langsam über ihren Hals.
    »Ben! Nicht!«
    Mit der freien Hand schob er Jette beiseite.
    »Mina«, sagte er leise. »Komm her!«
    Merle hörte zögernde Schritte, dann konnte sie am Rand ihres Gesichtsfelds Mina erkennen. Etwas an Bens Stimme hatte ihren Herzschlag stolpern lassen. Ihr Mund war trocken geworden und ihre Augen brannten.
    »Jetzt kannst du zeigen, ob du auf meiner Seite bist.« Er zog Mina näher heran. »Nimm das Messer.«
    »Warum?«
    Mina hatte das ganz ruhig gefragt, doch Merle bemerkte die Angst in ihrer Stimme.
    »Um sie zu bestrafen.«
    Er drückte ein bisschen fester zu. Merle hielt den Atem an.
    »Aber sie hat nichts getan, Ben.«
    »Nichts getan!« Er zog das Messer zurück und wandte sich Mina zu. »Die warten
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