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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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zwischen Margot und ihm. Da waren die langen Abende. Die einsamen Nächte neben seiner schlafenden Frau.
    Es gab inzwischen eine Menge Gewohnheiten in seinem Leben, die ihm nicht gut taten. Wann hatten sie sich bei ihm eingenistet? Hatte es einen bestimmten Zeitpunkt gegeben? Eine Einladung, die ihnen Tür und Tor geöffnet hatte?
    Man müsste sein Leben von allem Ballast befreien und ganz von vorn anfangen, dachte er. Und dann aufpassen, dass man nicht wieder in dieselben Fallen tappt.
    Er ging zum Kaffeeautomaten und holte sich einen Kaffee. Trank ihn am offenen Fenster und fragte sich, ob er den Mut zu einem Neubeginn hätte. Zu einem Leben, in das er nichts mitnehmen würde.
    Eine andere Stadt. Andere Kollegen. Andere Kleidung. Ein anderer Wagen.
    Eine andere Frau.
    Und an jedem zweiten Wochenende Besuch von seinen Kindern.
    Seufzend setzte er sich an den Schreibtisch und zog die Unterlagen zu sich heran.
    Der junge Kollege hatte saubere Arbeit geleistet. Er hatte die unterschiedlichsten Quellen aufgetan und alles fein säuberlich zusammengetragen. Es dauerte nicht lange und Bert war eingetaucht in die Welt der Wahren Anbeter Gottes. Den linken Ellbogen auf dem Tisch aufgestützt, die Hand im Haar vergraben, mit der rechten in den Papieren blätternd, saß er da und ließ ein erstes Bild in seinem Kopf entstehen.
    Dietmar Kronmeyer war nicht länger ein bloßer Name. Unter Berts Augen füllte er sich mit Leben. Das war immer der erste Schritt: Ein toter Mensch nahm Gestalt an. Und wenn man sich ihm behutsam näherte, hatte man die Chance, ihn  nach und nach kennenzulernen. Nur so konnte man seinen Mörder finden.
     
    Ich hätte mich gern um Mina gekümmert, aber ich hatte einen Job. Die Leute im Heim verließen sich auf mich. Vielleicht war es ja Merle möglich, heute zu Hause zu bleiben. Ich sah sie fragend an.
    »Eigentlich habe ich Claudio versprochen, ihm zur Hand zu gehen«, sagte sie. »Er bereitet ein Hochzeitsessen vor.«
    Wir hatten Mina in Mikes Zimmer gebracht und sie überredet sich hinzulegen. Gehorsam hatte sie sich zudecken lassen.
    »Sie braucht Hilfe«, sagte ich.
    Die Küche war auf einmal sehr groß und sehr still.
    »Dringend.« Merle ließ die Tür von Mikes Zimmer nicht aus den Augen. »Die ist ja so was von neben der Spur - so einem Menschen bin ich noch nie begegnet.«
    »Ist dir aufgefallen, wie widersprüchlich sie sich verhält?«, fragte ich. »Mal sitzt sie ganz klein und ängstlich da und im nächsten Moment raunzt sie einen an. Heute Nacht, als ich nicht schlafen konnte, hab ich sie in der Küche getroffen und hatte richtig Angst vor ihr.«
    »Das mit dem Unfall«, Merle senkte die Stimme, »glaubst du das?«
    Ich hob die Schultern. Mina machte es einem verdammt schwer, ihr zu vertrauen. Kaum fing man an, sie zu mögen, da tat sie alles, um einen abzuschrecken und in die Flucht zu jagen.
    »So viel Blut«, sagte ich, »aber keine einzige Wunde.«
    »Genau.« Merle rieb sich die Arme, als sei ihr plötzlich kalt. »Nicht eine. Da stimmt doch was nicht.«
    »Der Mord …« Ich sah Merle ängstlich in die Augen. »Sie  könnte ihn doch beobachtet haben. Und dann … ist der Mörder jetzt vielleicht hinter ihr her.«
    Tapfer erwiderte Merle meinen Blick. »Aber …« Ihre Stimme war ebenso voller Furcht wie meine und versagte. »Aber warum sollte sie das vor uns verheimlichen?«
    »Und wenn sie selbst diesen Mann … ich meine, vielleicht in Notwehr …«
    Merle knabberte an ihrem Daumennagel. Ich hatte sie das schon lange nicht mehr tun sehen.
    »Es gibt hundert Gründe für … eine Gewalttat«, sagte ich und wünschte mir, wir müssten nicht schon wieder über so etwas reden. Konnte es sein, dass Merle und ich das Unglück anzogen? Es war doch nicht möglich, dass wir schon wieder in ein Verbrechen verwickelt wurden.
    »Trotzdem.« Merle schüttelte den Kopf. »Es widerspricht dem Gesetz der Wahrscheinlichkeit, dass uns schon wieder … so was passiert.«
    Sie hatte die gleiche Überlegung angestellt wie ich. Das war oft so zwischen uns. Manchmal waren Worte völlig unwichtig. Da konnten wir uns mit Gedanken verständigen.
    »Vielleicht ist das Gesetz der Wahrscheinlichkeit bei uns irgendwie außer Kraft gesetzt.« Ich hatte keine Lust mehr, mich zu fragen, warum etwas geschah und warum es ausgerechnet uns zustieß. Ich hatte das in letzter Zeit zu oft tun müssen. Die Dinge waren, wie sie waren, und wir mussten versuchen, mit ihnen zurechtzukommen.
    »Oder es ist einfach

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