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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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einfach verschwinden. Bei Mina war alles möglich.
    »Ich habe Angst«, flüsterte sie.
    »Wovor?«, fragte Merle. »Willst du es uns nicht sagen?«
    »Ich … kann nicht.«
    Donna setzte sich auf. Sie hob eine Pfote und legte sie Mina auf die Brust. Ein Liebesbeweis. Ob Mina das zu schätzen wusste?
    Mina senkte den Kopf. Ihre Tränen tropften auf Donnas Fell.
     
    Auf dem Weg zurück ins Büro dachte Bert Melzig nach. Sein Wagen war ein guter Ort dafür. Manchmal fuhr er sogar extra Umwege, um einen Gedankenfluss nicht zu unterbrechen. Er liebte das Geräusch des Motors, den Blick auf die Straße, die Wiederholung der Handgriffe, die nötig waren.
    Und heute war auch noch der Himmel blau. Fast konnte er sich einbilden, der Sommer ginge nicht zu Ende, sondern stünde eben erst vor der Tür. Wenn sich das Licht nicht über die Wochen hin unmerklich verändert hätte. Warm, leuchtend, beinah körperhaft lag es auf den Dächern und Mauern und ließ den Asphalt schimmern.
    Er hatte einen großen Fehler gemacht, hatte Informationen über den Mord an die Presse weitergegeben, bevor er die Frau des Opfers aufgesucht hatte. Weil er diesen Gang nicht hatte delegieren wollen. Und vorher nicht dazu gekommen war.
    Aber Marlene Kronmeyer hatte von nichts gewusst. Sie hatte die Zeitungsberichte nicht gelesen und seltsamerweise hatte ihr auch niemand davon erzählt. Sie hatte ihren Mann nicht einmal vermisst. Er war anscheinend häufiger unterwegs gewesen, hatte oftmals in der alten Fabrik übernachtet oder war erst im Morgengrauen von einem seiner Hausbesuche bei Mitgliedern der Wahren Anbeter Gottes zurückgekehrt.
    Noch bevor sie erfahren hatte, um was es ging, war sie zusammengebrochen. Dieser Junge hatte ihr ein Glas Wasser gebracht, und dann hatte sie sich so weit gefasst, dass Bert ihr erzählen konnte, was vorgefallen war.
    »Idiot!«
    Bert trat auf das Bremspedal und kam mit quietschenden Reifen zum Stehen. Der Alte, der ihn beschimpft hatte, zeigte  ihm den ausgestreckten Mittelfinger und schlurfte über die Straße, kopfschüttelnd und verärgert grummelnd.
    Wie sich der Alltag veränderte. Noch vor Kurzem waren es die jungen Leute gewesen, die einen auf der Straße angepöbelt hatten, heute waren es ihre Großeltern. Bert verkniff sich den Fluch, der ihm auf den Lippen lag. Weit und breit kein Zebrastreifen und keine Ampelanlage. Wieso glaubten eigentlich so viele Menschen, die Welt gehöre ihnen allein? Er fuhr an und konzentrierte sich wieder auf seine Gedanken.
    Marlene. Ein schöner Name. Und eine schöne Frau. Eine von der sanften, stillen Art, wie sie auf den Gemälden der alten Meister zu finden sind.
    Das war ihm zuerst aufgefallen. Dass sie vom Tod ihres Mannes erfahren - und gelächelt hatte. Sie hatte den Kopf gehoben und ihn angeschaut. Und mit Tränen in den Augen gelächelt.
    Er hatte an Märtyrerinnen denken müssen und an die Muttergottes. Seine katholische Erziehung funkte ihm bei der Arbeit immer noch dazwischen. Selbst sein Austritt aus der Kirche hatte nichts daran ändern können. Wahrscheinlich würde er sich niemals ganz vom Geruch dieser strengen Riten und Gebräuche befreien können. Den streifte man nicht ab wie ein Paar Schuhe.
    Der Junge war neben Marlene Kronmeyer in die Hocke gegangen, hatte ihre Hand genommen und sie an seine Wange gedrückt. Still hatten sie Bert zugehört.
    Bert hatte die Einzelheiten vor ihnen ausgebreitet und das Lächeln auf dem Gesicht Marlene Kronmeyers war schwächer geworden. Aber es war nicht vollständig verschwunden.
    »Darf ich ihn sehen?«, hatte sie gefragt.
    Bert hatte ihr angeboten, sie in seinem Wagen mitzunehmen, doch der Junge hatte darauf bestanden, Frau Kronmeyer selbst zu fahren. In einem schmutzigen VW-Bus waren sie Bert gefolgt, der sie zur Pathologie gelotst hatte.
    Das Gebäude zu betreten, war ihm schwergefallen, wie jedes Mal. Den Gang entlangzugehen. Dem Geräusch der Schritte zu lauschen. Den spezifischen Geruch nach Desinfektionsmitteln einzuatmen. Vor der mit einem grünen Tuch bedeckten Leiche zu stehen. Und hinzuschauen.
    Marlene Kronmeyer sah still auf ihren toten Mann hinab. Sie hob die Hand und fuhr ihm mit dem Zeigefinger langsam über die Augenbrauen, dann über die Nasenflügel und das Kinn. Ihre Lippen bewegten sich stumm. Vielleicht zu einem Abschied. Oder einem Gebet. Ihr Daumen malte ein Kreuz auf die Stirn des Toten. Dann wandte sie sich ab.
    Der Junge betrachtete die Leiche mit Entsetzen. Er war kalkweiß. Ein

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