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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Kleinstädten und in der tiefsten Provinz, sogar in Dörfern, die noch nie über einen Bahnhof verfügt hatten.
    Man behauptete, sie habe sich den Satanisten angeschlossen, sei in ein Frauenhaus geflüchtet, in einer Klinik für Suchtkranke eingeliefert worden. Einem Rentnerpaar wollte sie auf der Kölner Domplatte aufgefallen sein. »Mitten unter diesen schwarz angezogenen, weiß bemalten jungen Leuten, die alle aussehn wie Vampire.«
    In siebenundzwanzig Diskotheken sollte sie sich aufgehalten haben und in elf Lesbenkneipen. Man hatte sie in U-Bahnen gesichtet, in Bussen und Taxis, war ihr in Autobahnraststätten begegnet und im Mainzer Dom. Allein sechs ältere Damen wollten beobachtet haben, wie das Mädchen brutal in einen Wagen gezerrt und entführt worden sei.
    »Was bringt die Leute bloß dazu, uns die Arbeit so schwer zu machen?«, fragte Bert nach der Morgenbesprechung die Polizeipsychologin und hätte sich in der nächsten Sekunde am liebsten auf die Zunge gebissen. Nach einer ermüdenden Stunde unter der umständlichen Gesprächsleitung des Chefs hatte er absolut keine Lust auf einen Vortrag.
    »Das würde ich manchmal auch gern wissen.«
    Erstaunt sah Bert sie von der Seite an. Sie konnte tatsächlich reden wie ein ganz normaler Mensch. Und zugeben, dass sie etwas nicht wusste. Vielleicht würde es doch irgendwann möglich sein, mit ihr an einem Tisch zu sitzen, ohne sich unter ihrem Blick nackt und preisgegeben vorzukommen.
    »Ich weiß, dass Sie mich für ein Monster halten«, sagte sie, blieb am Kaffeeautomaten stehen und suchte in der Tasche ihres Blazers nach einer Münze.
    »Nicht doch«, sagte er, und während er es aussprach, fiel ihm auf, dass diese Worte völlig widersprüchlich waren.
    Sie merkte es ebenfalls. »Nicht oder doch?«
    »Ich halte Sie nicht für ein Monster.« Bert reichte ihr galant fünfzig Cent aus seiner Hosentasche. »Nur für einschüchternd perfekt.«
    »Sag ich doch.« Lächelnd nahm sie die Münze und warf sie ein. »Das ist im Grunde dasselbe.«
    Einträchtig schauten sie zu, wie sich zunächst der erste, dann der zweite Becher mit duftendem Kaffee füllte. Sie tranken ihn im Stehen, am Fenster, und Bert hatte zum ersten Mal seit Langem wieder Lust auf eine Zigarette. Würde das denn nie aufhören?
    Sein unbestechlicher Arzt, Freund und nur noch sehr gelegentlicher Tennispartner Nathan hatte ihm neulich noch vorgeworfen, wenn man mit dem Rauchen bloß aufhöre, um mit unmäßigem Kaffeekonsum zu beginnen, könne man eigentlich gleich bei den Zigaretten bleiben. Dann habe man die eine Sucht lediglich gegen eine andere eingetauscht.
    »Ich heiße übrigens Isa.« Sie hielt Bert die Hand hin.
    Verdattert nahm er sie. »Bert.« Er räusperte sich. »Auf gute Zusammenarbeit … Isa.«
    »Wär nicht übel. Bisher lief es ja nicht so toll mit uns.«
    Bert fragte sich, wie er in dieses Gespräch geraten war. Diese Frau hatte ganz selten einmal ein privates Wort mit ihm gewechselt. Sie blieb im Allgemeinen gern für sich. Er hatte das immer für ein Zeichen von Arroganz gehalten.
    »Ich bin als Polizist ein Dinosaurier«, sagte er. »Und Sie … du … bist mit allen Wassern der modernen Psychologie gewaschen. Da muss es doch zwischen uns knirschen.«
    »Nicht unbedingt.« Sie kramte eines dieser verpackten Plätzchen aus ihrer Handtasche, die man in Cafés zum Cappuccino mitgeliefert bekommt, befreite es aus dem Papier, brach es in der Mitte entzwei, bot ihm die eine Hälfte an und steckte sich selbst die andere in den Mund. »Wir könnten uns auch prächtig ergänzen.«
    Es fiel Bert schwer, sich das vorzustellen. »Ermittlungen laufen nicht nach dem Lehrbuch«, sagte er. »Sie halten sich nicht an wissenschaftliche Vorgaben. Manchmal kommt man nur weiter, wenn man sich auf seinen Instinkt verlässt.«
    Das alte Thema zwischen ihnen, das in unzähligen Besprechungen zu Konflikten geführt hatte.
    »Hast du dir eigentlich nie überlegt, dass deine Intuition mir bei der Erstellung eines Täterprofils sogar helfen kann?«
    Warum, zum Teufel, hatte sie ihn dann nie um Hilfe gebeten? Es hätte beiden die Arbeit enorm erleichtern können.
    »Ich hatte nicht den Eindruck, dass Intuition bei unseren Besprechungen sonderlich geschätzt würde. Der Chef …«
    Sie unterbrach ihn, indem sie seinen Arm berührte. »Hat eine ganz eigene Art, die Dinge anzugehen. Auch sie kann ein wesentlicher Aspekt sein. Im Idealfall ergänzen sich die Eigenheiten aller und verbinden sich zu einer

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