Der Scherbensammler
Ermittlungsarbeit, die vielschichtig, zielgerichtet und effektiv ist.«
Da war er wieder, dieser Jargon, der Bert so abschreckte. Aber erstmals hatte er eine Ahnung davon, dass die Sichtweisen der Psychologin und des Polizisten nicht unvereinbar sein mussten.
Sie hatten ihren Kaffee ausgetrunken und die Becher in den Abfallkorb geworfen. Standen in ungewohnter Nähe beieinander und lächelten sich vorsichtig und ungeübt an.
»Und was ist deine Vorstellung vom Mörder Dietmar Kronmeyers?«, fragte Bert.
»Wir wissen, dass er aus einer ungeheuren Wut heraus gehandelt haben muss. Oder aus einem tief sitzenden Hass. Es war wahrscheinlich jemand, den das Opfer kannte, denn er hat sich nicht gewaltsam Zutritt zu der Wohnung in der alten Fabrik verschafft.«
»Könnte auch ein Staubsaugervertreter gewesen sein«, witzelte Bert.
»Unwahrscheinlich«, parierte Isa, »aber nicht unmöglich. Dagegen spricht die Brutalität der Tat.«
Ihre Schlagfertigkeit gefiel ihm. Die hatte ihn schon immer beeindruckt.
»Dietmar Kronmeyer hat seinen Mörder vermutlich sogar sehr gut gekannt«, fuhr sie fort. »Er hat ihm vertrauensvoll den Rücken zugewandt. Nur so war der Schlag auf den Hinterkopf möglich.«
Bert sah seine eigenen Überlegungen in Isas Gedanken gespiegelt. Das Spiel fing an, ihm Spaß zu machen.
»Der Angriff muss das Opfer völlig unerwartet getroffen haben«, sagte er, »denn Kronmeyer war alles andere als ein schwächlicher Typ. Er hätte sich sehr wohl zur Wehr setzen können.«
»Und das wollte der Täter auf keinen Fall riskieren.«
»Oder die Täterin. Wenn sie sehr kräftig war.«
»Sehr kräftig oder wahnsinnig wütend.« Isas Blick war auf irgendeinen Punkt da draußen gerichtet. »Du denkst an die Tochter? Oder an die Ehefrau?«
Marlene Kronmeyer hatte Bert als Täterin bislang nicht ernsthaft in Erwägung gezogen. Zur Tatzeit war sie zu Hause gewesen. Ben Bischop hatte das bestätigt. Gleichzeitig hatte Marlene Kronmeyer dem Jungen ein Alibi gegeben. Er hatte in der Werkstatt gearbeitet und eine Möbelauslieferung vorbereitet.
»Die Tochter ist extrem streng erzogen worden.«
Isa nickte. »Und weltfremd dazu. Eine hochexplosive Mischung.«
»Warum hat das Mädchen den Kontakt zur Mutter abgebrochen?«, fragte Bert. »Beim Vater scheint es mir verständlich zu sein, aber Marlene Kronmeyer ist eine sanfte, stille Person …«
»… die ihrer Tochter bei den Übergriffen des gewalttätigen Vaters nicht zur Seite gestanden hat.«
Isa schnalzte missbilligend mit der Zunge.
»Auch Marlene Kronmeyer war der Gewalt ihres Mannes ausgeliefert«, gab Bert zu bedenken. »Wie konnte sie es da wagen, sich einzumischen, wenn es Auseinandersetzungen zwischen Vater und Tochter gab?«
»Auseinandersetzungen!« Isas Ton war schneidend geworden. »Marlene Kronmeyer hat die Autorität ihres Mannes ohne Einschränkung akzeptiert. Sie hat sich seiner Führung überlassen und ihm die Tochter quasi ausgeliefert. Dieser Mann konnte seinen Größenwahn ungehindert ausleben, durfte mit Frau und Tochter umspringen, wie es ihm beliebte.«
Eine Fliege surrte orientierungslos am Fenster entlang. Verärgert wedelte Isa sie weg.
Bert verkniff es sich, sie darauf hinzuweisen, dass sie hier einer Übertragung aufsaß. In Wirklichkeit war ihr die Fliege nämlich vollkommen gleichgültig. Das Thema war es, das sie in Rage versetzte.
»Und das Infamste daran ist, dass er seinen Sadismus auch noch religiös untermauern konnte!«
Ihre Empörung war Balsam für Berts Seele. Es tat gut, die eigenen Gefühle auf dem Gesicht eines andern wiederzufinden. Er kam viel zu selten in diesen Genuss.
»Der Zorn Gottes«, sagte er.
»Das muss man sich mal vorstellen!« Sie schlug mit der Faust auf die Fensterbank. »Dieses Scheusal konnte ihnen alles antun, ohne dafür verantwortlich gemacht zu werden, denn er tat es ja als Werkzeug des Herrn!«
»Sollten Psychologen nicht unvoreingenommen sein? Und die Psyche eines Menschen verstehen? Selbst oder vor allem die von gestörten Personen?«
Bert förderte zwei weitere Münzen zutage, fütterte den Automaten damit und reichte Isa einen der dampfenden Becher.
»Verstehen kann ich alles.« Sie ging auf seine Ironie nicht ein. »Aber ich muss es nicht akzeptieren.« Sie nahm einen Schluck, verbrühte sich die Lippen und fluchte. »Und erst recht nicht billigen.«
Schweigend tranken sie den zweiten Kaffee. Als sie sich voneinander verabschiedeten, sah Isa Bert fest in die Augen. »Bitte -
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