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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Stunden Alleinsein durchaus zumuten könne.
    »Hat sie eine Nachricht hinterlassen? Eine Erklärung? Einen Hinweis? Irgendwas?«
    Merle schüttelte den Kopf. »Ich hab alles abgesucht.«
    »Aber sie war heute Morgen doch ganz gut drauf.«
    Sogar ausgesprochen fröhlich war sie gewesen. Als wäre die Last der vergangenen Tage mit einem Mal von ihr abgefallen.
    »Also«, sagte Merle mit dünner Stimme. »Was kann passiert sein?« Sie zeigte zum Fenster. »Mina hat wahrscheinlich einen Switch gehabt, und eine ihrer Persönlichkeiten ist jetzt da draußen unterwegs.«
    »Vielleicht hatte sie einfach nur Lust, mal wieder frische Luft zu atmen?«
    Wir beschlossen, an die zweite Möglichkeit zu glauben, denn wir wussten zwar, dass Cleo und Marius sich irgendwie durchschlagen würden - was aber würde geschehen, wenn es die kleine Clarissa war, die da draußen umherirrte? Oder wenn eine andere von Minas Persönlichkeiten, die wir noch nicht kennengelernt hatten, sie aus dem Haus gelockt hatte?
    Wie auf Kommando standen wir beide auf. Wir würden sie suchen, und wenn es die ganze Nacht dauern sollte.
     
    Frau Bergerhausen hatte gründlich sauber gemacht. Sie hatte eine Stunde drangehängt und noch einige Pflanzen umgetopft, eine Arbeit, die Imke sich eigentlich nicht gern abnehmen ließ, weil sie es liebte, sich um ihre Pflanzen zu kümmern. Diesmal jedoch hatte sie nichts dagegen gehabt, denn sie war mit ihrem neuen Buch gerade an einem Punkt angelangt, an dem sie den Schreibfluss nur ungern unterbrach.
    Es gab die strikte Anweisung für Frau Bergerhausen, nichts Geschriebenes anzurühren. Mit einer Ausnahme: Alles, was sie fand, wo es nicht hingehörte, sollte sie an gut sichtbarer  Stelle deponieren. Und so hatte sie es auch mit Tilos Notizbuch gemacht, über das sie im Wintergarten gestolpert sein musste. Als Imke nach getaner Arbeit mit einem Becher Tee in der Hand den Wintergarten betrat, entdeckte sie es sofort. Sie ließ es auf dem Tisch liegen und rückte sich einen Sessel zurecht.
    Draußen bereitete das Land sich auf den Abend vor. Der Bussard schien noch unterwegs zu sein, ebenso wie die Katzen. Wie einfach das Leben hier war. Es wurde hell und wieder dunkel. Die Jahreszeiten wechselten. Die Tiere kamen und gingen.
    Einfach. Imke trank den Tee langsam und mit Genuss. Sie ließ das Wort auf der Zunge zergehen. War ihr Leben je einfach gewesen?
    Als sie den Becher abstellen wollte, fiel ihr Blick wieder auf das Notizbuch. Frau Bergerhausen hatte es anscheinend achtlos abgelegt, denn ein loses Blatt schaute heraus, das sie nicht wieder hineingesteckt hatte.
    Erstaunlich, dass Tilo, der so darauf achtete, dass ja niemand Einblick in seine Aufzeichnungen bekam, sie bereits zum zweiten Mal in so kurzer Zeit hier vergaß. Das offenbarte mehr als alles andere, unter welchem Stress er stand.
    Zögernd nahm Imke das Buch und öffnete es, um die Sache in Ordnung zu bringen. Ein Zeitungsausschnitt fiel ihr entgegen. Ein Artikel über den Mord in der alten Kleiderfabrik.
    Es war vor allem das Foto der Fabrik, das Imkes Aufmerksamkeit erregte. Dunkel und drohend ragte das Gebäude in den Himmel. Darunter stand in Tilos klarer, ausdrucksstarker Schrift nur ein Wort. Mina.
    Imke spürte den Adrenalinausstoß ihres Körpers bis in die Fingerspitzen. Ihr Puls schnellte in die Höhe. Das hier war der Schlüssel zu einer Geschichte. Einer Geschichte, die sie im Kopf bereits zu schreiben begonnen hatte. Ohne es zu bemerken. Einer Geschichte, die sie abschließen musste, um die Gefahr zu bannen, die von diesem Gebäude auf dem Foto ausging.
    Ihre Skrupel verflüchtigten sich. Sie blätterte zur ersten Seite zurück und begann zu lesen.
     
    Die Katze machte ihr Angst. Schreckliche Angst.
    Mama.
    Sie schaute sich um. Lauter fremde Häuser. Niemand, den sie kannte. Männerbeine. Frauenbeine. Die Gesichter hoch oben. Wie unter Wasser. Das kam von den Tränen.
    Die Blümelein, sie schlafen  schon längst im Mondenschein …
    Nicht die Katze angucken. Erst recht nicht streicheln. Den Kopf wegdrehn und vorbeigehn. Die Straße mit dem hubbeligen Pflaster entlang. Vorbei an den Türen, vor denen Kübel mit kleinen, verdurstenden Bäumen standen. Vorbei an kaputten Treppenstufen.
    Sie nicken mit den Köpfchen  auf ihren Stängelein …
    Ein lautes Motorrad. Jemand rempelte sie an. Hab keine Angst. Keine Angst. Bist doch ein großes Mädchen.
    Es rüttelt sich der Blütenbaum,  er säuselt wie im Traum …
    Die Füße so müde. Die Augen

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