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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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hinterher. Vielleicht würde sie glauben, ich hätte die Nacht durchgefeiert. Und sich nicht weiter um mich sorgen.
    Frau Sternberg quittierte mein Manöver mit einem skeptischen Blick. Es war mir nicht gelungen, sie hinters Licht zu führen. »Das gefällt mir nicht, mein Kind.«
    »Heute Abend gehe ich früh ins Bett und morgen bin ich wie neugeboren. Hochheiliges Ehrenwort.«
    Die alte Dame schüttelte den Kopf. »Viel zu blass. Sie könnten ein bisschen Erholung brauchen. Eine Woche Meerluft wirkt Wunder, glauben Sie mir.«
    Eine Woche Meerluft, dachte ich sehnsüchtig. Und ein Wunder konnten wir auch gut brauchen.
    »Sie müssen nur wollen. Verstehen Sie? Der Wille macht alles möglich.«
    Ich starrte sie an. Hatte sie mir da eben ein Angebot gemacht? Oder war sie wieder in ihrer Welt der Andeutungen und Rätsel versunken, in der ein einziger Satz sich in zehn Bedeutungen spiegeln konnte?
    »Was ist los, Liebes? Ist Ihnen nicht gut?«
    Ich musste es versuchen. »Ihr Haus am Meer …«
    »… wartet nur auf Sie«, brachte sie meinen Satz zu Ende.
    »Aber Ihre Familie …«
    »Den Kindern ist es zu klein und mein Mann reist nicht mehr gern.«
    »Und wo …«
    »In der obersten Schublade meiner Kommode liegt ein Briefumschlag mit Anschrift, Schlüssel und einer kurzen Wegbeschreibung. Nehmen Sie ihn, wann immer Sie wollen.«
    Ausgerechnet Frau Sternberg überreichte mir die Lösung unseres Problems auf dem Silbertablett. Merle und ich könnten Mina aus Bröhl wegschaffen. In das Sicherste aller Verstecke. Damit hätten wir kostbare Zeit gewonnen. Um uns auf die neue Situation einzustellen und um Mina Gelegenheit zu geben, sich zu erinnern.
    »Ich möchte Ihnen so gern eine Freude machen«, erklärte Frau Sternberg. »Und da habe ich überlegt, wie ich das anstellen könnte. Und weil ich das Haus so liebe, habe ich mir gedacht, vielleicht lieben Sie es auch.«
    Ich gab ihr einen Kuss auf die Wange. »Danke«, flüsterte ich. »Sie wissen gar nicht, was für ein Geschenk Sie mir gerade machen.«
    »Doch, das weiß ich, Kindchen.« Sie klopfte mir auf die Schulter und schlurfte langsam und gebückt davon. »Das weiß ich.«
     
    Auf dem Weg zur Morgenbesprechung war Bert in einen Stau geraten. Nichts hatte sich bewegt. Das aggressive Hupkonzert hatte ihn an Bilder aus amerikanischen Großstädten erinnert. Nur dass in Bröhl kaum ein Haus höher war als zehn Stockwerke.
    Eine Baustelle war schuld gewesen, eine von vielen, die in letzter Zeit im wahrsten Sinne des Wortes aus dem Boden gestampft zu werden schienen. Es konnte passieren, dass man am Abend noch auf dem gewohnten Weg nach Hause fuhr und sich am folgenden Morgen in einer Landschaft aus Kratern wiederfand. Es war, als würde die gesamte Stadt Stück für Stück umgekrempelt.
    Bei der Besprechung dann hatte es Ärger gegeben. Die Hälfte der Kollegen war zu spät gekommen und alle hatten Staus an Baustellen als Grund dafür angegeben. Selbst diejenigen, die zu Fuß zur Arbeit kamen.
    Der Chef hatte das zum Anlass genommen, das morgendliche Treffen mit einem Vortrag über die wichtigsten deutschen Tugenden zu eröffnen.
    Fleiß. Pflichtbewusstsein. Pünktlichkeit.
    Jemand hatte unter dem Tisch die Hacken zusammengeknallt und das hatte den Chef hochgehen lassen wie einen Sektkorken. Es wurde Zeit für ein paar Fortschritte in den Ermittlungen und seien sie noch so klein. Das würde den Chef für eine Weile bei Laune halten.
    Fleiß. Pflichtbewusstsein. Pünktlichkeit. Der Chef tat gern so, als hätte er diese Begriffe erfunden. Dabei wurde er selbst seinen Ansprüchen höchst selten gerecht. Er gehörte zu den Ersten, die abends ihr Büro verließen, verschob häufig im letzten Moment Termine, die er nicht einhalten konnte, und wies lieber andere auf ihre Pflichten hin, als seinen eigenen nachzukommen.
    Bert hatte ihm gar nicht zugehört. Seine Gedanken waren  abgeschweift und zu der Begegnung mit Lea Gaspar zurückgekehrt.
    Noch in der Nacht hatte er sie vom Tod ihres Mannes unterrichtet. Er hatte beobachtet, wie sie mit versteinerter Miene zu begreifen versuchte, was nicht zu begreifen war. Wie ihre Hände nach einem Halt getastet und sich schließlich an der Wand des Flurs abgestützt hatten.
    Ihr vom Schlaf gerötetes Gesicht war auf einen Schlag kreidebleich geworden. Bert hatte ihr angeboten, einen Arzt zu rufen, doch das hatte sie mit einem Kopfschütteln abgelehnt.
    »Ich habe gewusst, dass es so kommen würde.«
    Sie hatte diese Worte immerzu

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