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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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Gefahr zu bringen.«
    »Sie sind also doch in Gefahr?«
    Imke konnte ihre Angst nicht unterdrücken, und wenn sie sich noch so sehr darum bemühte. Wie sagten die alten Leute immer? Kleine Kinder, kleine Sorgen, große Kinder, große Sorgen. Imke hatte nie etwas damit anfangen können, doch mittlerweile begriff sie, wie viel Wahrheit darin steckte.
    Tilo widersprach ihr nicht. Das war ein schlechtes Zeichen. Es beruhigte sie ein wenig, dass der Kommissar jetzt eingeschaltet war. Er hatte Jette schon zweimal das Leben gerettet.
     
    Ben sah anders aus. Entschlossen. Selbstbewusst. Er hielt Mina fest im Nacken gepackt. Er kontrollierte die Situation.
    Mina trug nur Slip und T-Shirt. Sie trat von einem Fuß auf den andern.
    »Mir ist kalt«, sagte sie.
    Sogar ihre Stimme schien zu frieren.
    »Du kannst dir gleich was anziehen.« Ben ließ Merle und mich nicht aus den Augen. »Wenn das hier geregelt ist.«
    »Geregelt?«, fragte Merle. »Was hast du mit uns vor?« Krampfhaft umklammerte sie den Kopf des Perlhuhns.
    »Her damit!«
    Ben streckte die Hand aus.
    Merle zögerte. Ben packte Mina fester. Sie schrie leise auf.
    »Bitte, Merle!«
    Es kostete Merle Überwindung, aber sie trat einen Schritt vor und gab Ben das Huhn.
    »Und jetzt in die Küche! Tempo!«
    Als wir auf dem Sofa saßen, ließ er Mina los und gab ihr einen Stoß. Sie taumelte auf uns zu und fiel mir fast auf den Schoß.
    Ben setzte das Perlhuhn auf den Tisch. Mit gespreizten Beinen stand er da und atmete tief ein. Dann stieß er einen Schrei aus, gleichzeitig schnellte seine rechte Hand hoch und fuhr hart und sicher nieder.
    Mit einem Krachen zersprang das Huhn in Stücke.
    Die unerwartete Demonstration seiner Kraft ließ Merle und mich zusammenzucken. Ben hatte die Fronten mit einem einzigen Karateschlag geklärt. Das Perlhuhn hatte die Größe einer stattlichen Wassermelone gehabt. Trotzdem hatte Ben es mühelos zertrümmert und sich dabei nicht mal verletzt.
    »Bei Menschen macht es noch mehr Spaß«, sagte er. »Zwingt mich also nicht, euch wehzutun.«
    Mina schlotterte inzwischen vor Kälte. Ich legte den Arm um sie und drückte sie an mich.
    »Du kannst dich jetzt anziehen.«
    Ben lehnte sich lässig gegen den Herd. Jede seiner Bewegungen war eine Provokation.
    »Aber zuerst lieferst du sämtliche Handys bei mir ab.«
    Gehorsam stand Mina auf.
    »Ach, Mina?«
    »Ja?«
    »Ein falscher Schritt, und deine Freundinnen gibt es nicht mehr.«
    Mit hängenden Schultern schlich Mina hinaus. Wie dünn sie war. Und wie verschreckt. So hatte ich sie erst ein einziges Mal erlebt, damals, im Garten meiner Mutter.
    Nachdem sie Ben unsere Handys übergeben hatte, erlaubte er ihr, sich anzuziehen. Er lehnte noch immer am Herd. Als wäre das hier ein Spiel, das er schon oft gespielt hatte, und als würde es ihn allmählich ein bisschen langweilen.
    In Hose und Pulli kam Mina zurück. Sie setzte sich wieder neben mich. Offenbar hatte sie sich ein wenig gefangen, denn sie saß ruhig und aufrecht, die Hände entspannt auf den Oberschenkeln.
    »Was willst du, Ben?«
    »Das, was ich immer gewollt habe«, sagte er. »Mein ganzes Leben lang. Dich.«
    Seine Antwort brachte Mina nicht aus der Fassung. Sie schien damit gerechnet zu haben.
    »Wie stellst du dir das vor?«
    »Ganz einfach. Du packst ein paar Sachen und wir gehen weg von hier.«
    »Wohin?«
    »Wohin! Wohin! Ist doch egal. Irgendwohin, wo uns keiner kennt.«
    »Und dann?«
    »Leben wir zusammen. So, wie es sein soll.«
    »Wie denn, Ben?«
    Wusste Mina, was sie da tat, indem sie ihn immer mehr in die Enge trieb? Meinte sie wirklich, sie könnte ihm seinen Plan auf diese Weise ausreden?
    »Auf der Straße, wenn es sein muss. Unter Brücken. Im Wald. Was sollen die Fragen? Du hast doch selber wochenlang draußen gelebt.«
    »Da war es warm und trocken.« Mina ließ sich nicht beirren. »Aber bald kommt der Winter, Ben. Es ist nicht leicht, im Winter auf der Straße zu leben.«
    Das schien ihm zu denken zu geben. Grübelnd betrachtete er Merle und mich. Und brauchte gar nicht erst auszusprechen, was ihm als Nächstes durch den Kopf ging: Er konnte uns nicht zurücklassen, denn dann käme die Polizei ihm sofort auf die Spur.
    Mina hatte offenbar dasselbe überlegt.
    »Was ist mit Jette und Merle?«, fragte sie.
    Seine Augen verengten sich.
    »Nein, Ben. Wir müssen sie mitnehmen. Nur so sind wir halbwegs sicher.«
    Was machte sie denn da? Sollte sie ihm diese wahnwitzige Aktion nicht ausreden? Stattdessen bot sie ihm

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