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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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hatte.
    Jetzt nur noch die Schublade zuschieben und dann schnell zum Wagen zurück. Ben hatte mir eingeschärft, mich zu beeilen, und ich wollte es unbedingt vermeiden, ihn wütend zu machen.
    Ich streckte schon die Hand nach der Türklinke aus, als ich das Bettzeug rascheln hörte.
    »Hallo«, sagte Frau Sternberg. »Ist da jemand?«
    Ganz kurz spürte ich die Versuchung, einfach zu verschwinden. Doch ich brachte es nicht übers Herz. Ich ging zu ihr und beugte mich zu ihr hinunter.
    »Ich bin’s, Jette.«
    »Jette?« Sie stützte sich auf den Ellbogen. »Wie bist du denn in meinen Traum geraten, Kind?«
    Ihre Stimme war so alt und freundlich und vertrauensvoll, dass mir die Tränen kamen. Ich streichelte ihre Schulter. Nur Haut und Knochen. Frau Sternberg vergaß neben allem anderen auch oft das Essen.
    »Schlafen Sie weiter«, sagte ich. »Und haben Sie keine Angst.«
    Sie legte sich wieder hin. Schloss gehorsam die Augen.
    »Du darfst auch keine Angst haben«, murmelte sie.
    Als ich mich an der Tür noch einmal nach ihr umdrehte, war sie schon wieder eingeschlafen.
    »Bis bald«, flüsterte ich und schlüpfte hinaus.
    Bis bald. Die beiden Worte tanzten in meinem Kopf. Ich wollte so gern daran glauben.
     
    »Eine Multiple!« Der Chef hielt sich mühsam zurück. Er stand kurz vor der Explosion. »Und wo befindet sich das Mädchen jetzt?«
    Seine samtweiche Stimme konnte Bert nicht täuschen. Die Kollegen ebenso wenig. Sie alle duckten sich innerlich. Wie Schüler, die Angst davor hatten, vom Lehrer aufgerufen zu werden.
    »In der Wohnung ihrer Freundinnen«, sagte Bert. »Ich dachte …«
    »Da bin ich ja mal gespannt.«
    Der Chef stand auf und wanderte zum Fenster. Er schaute auf die Straße hinunter, als ginge ihn das hier überhaupt nichts an. In Wirklichkeit kochte er.
    »Sie ist in keiner stabilen Verfassung. Ich wollte behutsam vorgehen.«
    »Das heißt, sie ist ohne Aufsicht und könnte sich jederzeit aus dem Staub machen?«
    Die Stimme des Chefs war bei den letzten Worten um fast eine Oktave nach oben geklettert. Man konnte den Sturm kommen sehen.
    »Der Psychologe, der sie therapiert, Tilo Baumgart …«
    »Jederzeit! Verstehe ich das richtig?«
    Bert hasste es, unterbrochen zu werden. Er hasste es, wenn der Chef seine rhetorischen Spielchen mit ihm spielte. Vor allem aber hasste er es, im Unrecht zu sein. Er bewegte sich auf schwankendem Boden und der Chef witterte das sofort.
    »Sehr gut, Melzig! Das haben Sie prima hingekriegt! Und wer holt die Kastanien jetzt aus dem Feuer?«
    Du bestimmt nicht, dachte Bert. Du hast dir die Finger  noch nie verbrannt. Zumindest nicht bei der Arbeit und ganz sicher nicht mit unpopulären Entscheidungen.
    »Im Augenblick«, sagte er, »kann von Feuer doch gar keine Rede sein. Es gibt gewisse Verdachtsmomente, aber die reichen nicht aus, um das Mädchen aus der gewohnten Umgebung zu reißen.«
    »Das sehe ich genauso«, mischte Isa sich ein. »Auch ich würde besonnen vorgehen und den Therapeuten des Mädchens unbedingt in die Überlegungen mit einbeziehen.«
    Der Chef selbst war es gewesen, der Isa als Psychologin in sein Team geholt hatte. Er legte Wert auf ihre Meinung, sicherte sich oft ab, indem er ihren Rat einholte. Deshalb konnte er das, was sie gesagt hatte, jetzt nicht vom Tisch wischen.
    »Also?«
    »Ich möchte Mina weiter befragen«, ergriff Bert wieder das Wort. »Tilo Baumgart hat sich freundlicherweise bereit erklärt, bei den Gesprächen anwesend zu sein. Ohne ihn würde ich nicht an das Mädchen herankommen. Keinem von uns würde das gelingen«, setzte er hinzu. »Wir haben keinerlei Erfahrung im Umgang mit multipler Persönlichkeitsstörung.«
    »Dissoziativer Identitätsstörung«, korrigierte ihn Isa.
    »Ich weiß. Aber im Augenblick halte ich das für Haarspalterei.« Mit einem Lächeln bat Bert Isa um Entschuldigung. »Es geht darum, dass wir im richtigen Moment das Richtige tun.«
    »Und nicht zu viel Porzellan zerdeppern«, bestätigte Isa.
    Der Chef sah auf seine Armbanduhr. Die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, behagte ihm nicht.
    »Warum sitzen wir dann noch hier herum?«, fragte er. »Darf ich Sie daran erinnern, dass wir zwei Morde aufzuklären haben?«
    »Danke«, flüsterte Bert beim Hinausgehen.
    »Keine Ursache.« Isa zwinkerte ihm zu. »Es gibt einen triftigen Grund, warum er dich nicht ausstehen kann.«
    »Und der wäre?«
    »Du bist einfach zu gut.« Sie hob die Augenbrauen. »Das ist seine Meinung. Ich sehe das

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