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Der Scherbensammler

Der Scherbensammler

Titel: Der Scherbensammler Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Monika Feth
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rückte sich so zurecht, dass er auch Mina und Jette auf der Rückbank im Auge behalten konnte.
    »Tut einfach, was ich sage, dann muss ich das Messer nicht benutzen.«
    Die Stadt war in Schlaf versunken. Selbst für die Zeitungsausträger war es noch zu früh. Auf den menschenleeren Straßen wechselte das Licht der Ampeln gespenstisch die Farbe. Eine defekte Leuchtstoffröhre über einem Schaufenster flackerte. Ein loser Fensterladen quietschte in seiner Verankerung.
    Die perfekte Zeit. Ben war mit sich zufrieden. Besser hätte es bisher nicht laufen können.
     
    Am liebsten hätte sie sich hinter dem Sitz verkrochen. Aber dann wäre Ben böse geworden.
    Sie hatte Angst vor ihm, wenn er so war. Laut wurde und gemeine Sachen machte.
    Du kleines, dummes Ding.
    Aber das war sie gar nicht, klein und dumm. Das wollte die Stimme ihr nur einreden. Sie war sogar schon ziemlich groß. Sie konnte sogar schon Mama trösten.
    Mama. Warum war sie nicht hier?
    Weil sie sich einen Dreck um dich kümmert, darum.
    Einfach nicht auf die Stimme hören. Einfach nicht hierbleiben.
    Wenn sie die Augen zumachte, konnte sie sich vielleicht wieder ins Dunkel sacken lassen.
    Dahin, wo es warm und weich war und still.
    Wo sie keine Angst zu haben brauchte. Keine Angst.
     
    Es war Zufall, dass ich den Schlüssel für die Eingangstür hatte. Frau Stein hatte ihn mir gegeben, weil zwei weitere Mitarbeiter krank geworden waren.
    »So ist es am Einfachsten«, hatte sie gesagt. »Ihnen kann ich ja vertrauen.«
    Ihre Worte lagen mir schwer im Magen. Wie ein Dieb schlich ich die Treppe hinauf. Nein. Nicht wie ein Dieb. Ich war tatsächlich einer.
    Es gab keinen Pförtner, der mich aufhalten konnte. Die Mitarbeiterin, die Nachtdienst hatte, saß in der kleinen Kaffeeküche im Erdgeschoss, wo sie las oder sich durch die Fernsehprogramme zappte. Ab und zu musste sie in dem einen oder andern Zimmer nach dem Rechten sehen, aber in den ganz frühen Morgenstunden war es im Haus meistens ruhig.
    Da war das Zimmer von Frau Sternberg. Vorsichtig drückte ich die Klinke herunter und schob die Tür einen Spaltbreit auf.
    Regelmäßige Atemzüge verrieten mir, dass die alte Dame schlief. Rasch schlüpfte ich ins Zimmer, lehnte die Tür an und wartete eine Weile, um mich an die Dunkelheit zu gewöhnen. Dabei wirbelten mir die Gedanken nur so durch den Kopf.
    Was, wenn ich von hier aus die Polizei anriefe?
    Zu gefährlich.
    Ben hatte damit gedroht, Merle etwas anzutun, falls ich nicht zurückkäme oder ein Polizist sich auch nur von Weitem blicken ließe. Ich kannte ihn noch nicht lange, aber ich wusste, dass er keine leeren Drohungen ausstieß.
    Viel zu gefährlich.
    Ben war auf engstem Raum mit Merle und Mina zusammen. Und er war vollkommen durchgeknallt. Da durfte ich kein Risiko eingehen. Ich vertröstete mich auf später. Irgendwann würde er müde werden. Und Schlaf brauchen.
    Ich konnte jetzt die Umrisse der Möbel erkennen und Frau Sternberg, die ruhig und friedlich in den Kissen lag und nicht ahnte, was um sie herum geschah.
    Liebe, liebe Frau Sternberg, dachte ich. Wenn Sie und Ihr Haus nicht wären, hätte Ben Merle und mir vielleicht längst etwas angetan.
    Die oberste Schublade der alten Kommode klemmte. Behutsam ruckelte und zog ich, bis ich die Hand hineinschieben und nach dem Briefumschlag tasten konnte.
    Frau Sternberg bewahrte Strümpfe, Halstücher und Handschuhe in dieser Schublade auf. Meine Finger berührten aber auch etwas Kaltes, Glibberiges, das sich anfühlte wie ein angebissener Pfirsich. Knöpfe glitten mir durch die Finger, Münzen und Stifte.
    Ein Briefumschlag war nicht zu finden.
    Hatte Frau Sternberg sich geirrt? Mir brach der Schweiß aus bei der Vorstellung, eine schwergängige Schublade nach der andern aufzuziehen, Zentimeter für Zentimeter, um dann in den unaussprechlichsten Dingen zu wühlen. Und am Ende vielleicht festzustellen, dass es gar keinen Briefumschlag gab.
    Im letzten Moment bekam ich ihn zu fassen. Er war zwischen den Tüchern versteckt und bestimmt noch keinem vor mir aufgefallen.
    Die Chancen, dass die Polizei uns in einem abgelegenen Ferienhaus finden würde, von dem kaum jemand wusste, an dessen Existenz sich auch Frau Sternberg meistens nicht erinnerte, waren gleich null.
    Nicht daran denken! Bloß nicht daran denken!
    Ich öffnete den Umschlag so geräuschlos wie möglich. Zwei Schlüssel und ein Blatt Papier, wahrscheinlich die Adresse und die Wegbeschreibung, von der Frau Sternberg gesprochen

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