Der Schichtleiter
abgewiesen. Dann hast du meine Frage total flaumig beantwortet, obwohl du im Grunde so aussahst, als ob du in den Arm genommen werden willst. Im Abteil ziehst du eine sexy Schlafshow ab und verschwindest danach auf Klo, schaust mich aber vorher noch so seltsam an. Jetzt stehe ich hier und du wunderst dich.“
„Also ging es doch um Sex?“, frage ich mit zusammengekniffenen Augen.
„Es geht doch immer um Sex, oder nicht?“ Er lacht.
„Das war übrigens keine absichtliche Schlafshow! Das ist mir superpeinlich!“
„Ja, merkt man. Aber ich glaube, dass du ganz gern mit deiner angeblichen Unschuld kokettierst. Wieder so eine Widersprüchlichkeit: Sei lieb zu mir, ich bin Jungfrau, los, nimm mich hart ran! “ Trotz des anzüglichen Grinsens durchbohren mich seine Augen regelrecht.
Mir bleibt gerade das Wort im Hals stecken. Eigentlich hätte ich laut Arschloch sagen wollen. Aber das, was der Fremde da so dreist von sich gibt, trifft mich seltsamerweise. Bin ich etwa wirklich so? Ich bin mir sicher, dass der Kerl nur zu viele Schwuppen kennengelernt hat, die in dieses Schema passen. Aber ich habe es jetzt und hier doch nicht auf ein Abenteuer angelegt! Und Lukas habe ich die ganze Zeit über gemieden und möglichst abweisend behandelt. Der ist schlicht hartnäckig! Na gut, die Sache mit dem Sextraum im Zugabteil war ziemlich daneben. Ich bin mir jedoch ganz sicher, dass ich diesem Typen keinen auffordernden Blick zugeworfen habe, der ihn zur Toilette locken sollte.
„Entschuldige, das war vielleicht ein wenig – zu ehrlich. Was ich damit sagen wollte, ist …“
„Was du sagen wolltest, hast du bereits gesagt“, unterbreche ich ihn und lege ein möglichst selbstbewusstes Lächeln auf. „Danke dir.“ Dann drehe ich mich um und gehe zum Abteil zurück.
„Was ist mit der Cola?“, fragt er noch, aber ich ignoriere ihn und setze mich wieder auf meinen Platz. Keiner der anderen Reisenden schaut auch nur auf. Bevor der aufdringliche Ich-hab-dich-durchschaut-Kerl reinkommt, zerre ich ein Buch hervor und tue so, als ob ich konzentriert lese. Innerlich beglückwünsche ich mich dazu, dass ich wohlweislich auch einen unverfänglichen Krimi eingepackt habe. Ein schwules Buch mit dem Titel Sexperimente würde jetzt sicherlich die falschen Signale senden.
6
Wiedersehen macht …
Irgendwann hat es der Kerl aufgegeben, mich mit seinen Blicken zu provozieren. Von Lesevergnügen kann zwar keine Rede sein, aber allein die Tatsache, dass ich mich an meinem Buch festhalten konnte, hat schon geholfen.
Jetzt scheint der Typ ausgerechnet mit mir aussteigen zu müssen. Mein Plan war ja, dass ich so lange wie möglich sitzen bleibe. Seit Lukas bin ich ein wenig paranoid, was die Hartnäckigkeit von Leuten angeht. Und ich will auf keinen Fall, dass mein Gegenüber auf die Idee kommt, mir zu folgen. So aufdringlich, wie der ist, traue ich ihm durchaus zu, dass er auf der halben Strecke aussteigt, nur um mich doch noch irgendwie rumzukriegen. Zumindest bin ich mir sicher, dass Lukas sofort mitgefahren wäre, wenn ich ihm da Hoffnungen gemacht hätte. Ist er aber nicht. So schlimm kann ich also nicht sein mit meinen unklaren Signalen.
Jetzt, etwa fünf Minuten vor der Ankunft, sucht der Typ seine Sachen zusammen und verlässt das Abteil. Ich merke, dass er mich noch ansieht und wohl auf ein paar Worte zum Abschied hofft. Aber ich bohre meinen Blick starr ins Buch.
„Du solltest ab und zu umblättern, damit es nicht so auffällt“, sagt er.
Ich spüre, dass die anderen Fahrgäste aufschauen. Aber ich nicht. Ich ignoriere die Bemerkung einfach.
„Na dann, tschüss“, fügt er noch hinzu, bevor er die Tür zuschiebt.
Für die anderen muss es ziemlich komisch aussehen, dass ich nicht reagiert habe. Das ist mir jedoch egal. Ich bin froh, dass ich den Kerl los bin und schaue aus den Augenwinkeln, in welche Richtung er geht. Zwei Minuten warte ich noch, dann pirscht sich der Zug über eine Vielzahl von Weichen an den Bahnhof heran. Der Wagen rumpelt hin und her und es ist gar nicht so einfach, mein Gepäck aus dem Abteil zu befördern, ohne auf irgendeinem Schoß zu landen. Im Gang stehen schon einige Reisende an, die ebenfalls hier raus wollen. Von meinem aufdringlichen Südländer ist nichts zu sehen. Gut so. Zufrieden wende ich mich in die andere Richtung und warte, dass der Zug endlich einfährt.
Auf dem Bahnsteig empfängt mich meine Mutter. Sie umarmt und küsst mich. Danach stellt sie tausend Fragen, wie
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