Der Schichtleiter
Irren und Studenten zu versammeln. Aus den letzten Semesterferien weiß ich jedenfalls, dass die Arbeit ziemlich einfach ist. Die meiste Arbeitszeit wird mit Warten zugebracht. Glücklicherweise gibt es zwei Aufenthaltsräume. Einmal den mit den Bild -Zeitungen für die Raucher, und dann quasi noch einen Raum für die Nichtraucher, in dem ich immer allein sitze.
Ich trete auf die Werkshalle zu und schon stürmt mein Vorgesetzter, Schichtleiter Werner Zielke, heraus und blafft mich an: „Was dauert das denn so lang?“
„Warum? Hat sich was geändert und es gibt plötzlich was zu tun?“
„Werd mal nicht frech, ja?“ Er schnaubt wie ein Stier und ich fürchte schon, dass er jetzt mit mir ein ernstes Wörtchen reden will, wie er es gern nennt. Werner kommt einem immer viel zu nah und ständig muss er einen mit seinen Schweißfingern antatschen.
„Nächstes Jahr ist die Halle eh weg, dann kannst du gucken, wo du bleibst. Ich bin dann in Frührente“, sagt er und zeigt zum Kohlefilter, wobei er hämisch grinst. „Da, den kannst du weiter saubermachen.“
„Ach, daher weht der Wind“, murmle ich vor mich hin und ziehe mir die Handschuhe über. Ich ignoriere Werner einfach und mache mich an die Arbeit. Ich weiß ja, wie hier der Hase läuft. Als Werkstudent ist man nun mal für die Drecksarbeit zuständig, während sich die anderen meist gemütlich zurückziehen. Im Grunde ist mir das absolut egal. So geht die Zeit wenigstens herum und am Ende bleibt trotzdem genug übrig, um im Aufenthaltsraum auf der rechten Seite – also bei den Nichtrauchern – die Nase in die Unibücher zu stecken. Da hat auch niemand was gegen – selbst der Zielke nicht, wenn man sonst ohne Widerworte alle Arbeiten macht, die er von einem verlangt.
Ich schnappe mir die Harke und löse die Reste der Aktivkohle zwischen den Filtern heraus. Da das Zeug noch feucht ist, brauche ich keine Atemmaske. Überhaupt nimmt man es mit der Sicherheit nicht ganz so genau. Kommt nur selten vor, dass einer der oberen Chefs mal vorbeischaut und dann moniert, dass man nicht ausreichend Schutzkleidung trägt. In den anderen Gebäuden, wo sie auch mit Gefahrenstoffen umgehen, sieht das natürlich anders aus. Von daher hat Werner schon recht, dass ich hier mit meinem Job durchaus zufrieden sein kann. Mit der Kohle – also der Bezahlung, nicht der Aktivkohle – ohnehin.
Als ich ein paar Minuten später die gröbsten Brocken aus der Filteranlage entfernt habe, nehme ich einen Wasserschlauch und drehe voll auf. Der Strahl prescht in den Filter und die schwarze Suppe läuft in Massen heraus. Es dauert eine ganze Weile, bis auch wirklich alles ausgespritzt ist, sodass nur noch klares Wasser herauskommt. Dann säubere ich den Boden und lasse die letzten Kohlereste in den Abfluss laufen. Das war’s erstmal. Bevor ich aber in den Aufenthaltsraum gehe, rufe ich mir noch mal die Abläufe ins Gedächtnis.
Am Anfang rechnen wir aus, wie viel Rohstoff wir brauchen. Manchmal ist das Zeug staubtrocken, dann wieder ziemlich pappig. Je nach Feuchtigkeitsanteil muss die Menge natürlich angepasst werden. Ich gehe zu dem Rollcontainer rüber und öffne den Sack. Trocken. Sehr gut. Das macht das Schaufeln einfacher. Ich bin mir sicher, dass nachher ich mit dem zweiten Durchgang betraut werde. Zum Schaufeln sind hier nämlich alle zu faul.
Wenn das Zeug anschließend erst mal in der richtigen Menge im Kessel ist, lässt man Salzsäure dazulaufen. Ich schaue auf den großen Behälter, der hinter dem Kessel hängt. Natürlich leer. Auch das darf ich dann machen. Der Hubwagen mit der Tranche Salzsäure steht schon bereit. Klar, Werner hat wahrscheinlich erzählt, dass ich ab heute wieder da bin, daher haben sie nicht, wie normalerweise, den zweiten Durchgang vorbereitet. Aber das mit der Salzsäure ist kein Problem. Man muss nur aufpassen, dass man nichts abbekommt, während man das Zeug mit dem Sauger rausholt und in die Glasglocke befördert. Die Menge errechnet man auch je nach Rohstoffeinsatz. Später wird dann die Mischung umgepumpt in einen anderen Kessel und man gleicht die Säure mit Lauge wieder aus. Auch dieser Behälter ist natürlich leer, wie sollte es auch anders sein. Das mit dem Ammoniak ist keine so schöne Angelegenheit, weil das Zeug ziemlich flüchtig ist und man am besten mit Gasmaske arbeitet.
Als Werner mich hier eingearbeitet hat, hat er mich mal gefragt, ob ich ihm bei der Laugentranche helfen könne. Die Teile wiegen gut eine Tonne und sind,
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