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Der Schichtleiter

Titel: Der Schichtleiter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alex Seinfried
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wenn noch voll, selbst mit dem Hubwagen kaum in Fahrt zu bringen. Also sagte er mir, ich solle bitte schieben. Da ja der Kanister noch geschlossen war, dachte ich, dass das ohne Atemschutz okay sei. Aber denkste! Das Zeug dampft auch durch einen geschlossenen Schraubdeckel heraus und plötzlich hatte ich eine Lunge voll Ausdünstungen eingeatmet. Das brennt ziemlich, weil Ammoniak ja so penetrant scharf stinkt. Vor Schreck bin ich natürlich sofort hinter dem Kanister weg. Aber irgendwie steckte das Zeug in meinen Lungen fest und ich konnte nicht atmen. Panisch bin ich aus der Halle gelaufen und vor dem Werkstor in die Knie gegangen. Und Werner? Der hat nur gelacht und meinte: „Jetzt weißt du, wofür die Maske gut ist, was?“ Arschloch.
    Also, beim Einsaugen der Lauge hab ich die Gasmaske an, obwohl das sonst keiner macht. Die halten immer kurz die Luft an, stecken den Schlauch rein und gehen ein paar Schritte nach hinten, während sie die Waage im Blick halten. Wenn langsam genug in der Glocke ist, halten sie wieder die Luft an, hauen den Hebel um und schrauben den Kanister zu. Alles nicht nach Vorschrift, aber geht ja viel schneller so. Dabei haben sie ohnehin kaum was zu tun. Aber wahrscheinlich sind die meisten deshalb schon nicht mehr ganz auf der Höhe. Entweder zu viel eingeatmet oder zu lang die Luft angehalten. Da ist es mir dann auch egal, wenn die Idioten mich auslachen, weil ich mir die Gasmaske überziehe.
    So, das wären eigentlich die Aufgaben hier in der Halle. Danach werden noch die Kessel gesäubert und die ganze Mischung in die Halle nach nebenan gepumpt, wo es weitergeht. Nebenan die Arbeit ist noch viel angenehmer. Da wird das Zeug nämlich bloß auf Temperatur gebracht und später wieder runtergekühlt und ausgefiltert. Hier müssen wir nur in gewissen Abständen kontrollieren, ob die Temperaturen im Normbereich sind und gegebenenfalls gegensteuern. Und das Ausfiltern läuft auch automatisch. Nach dem Trockenschleudern werden die Brocken eine Etage höher gebracht und dort noch mal verarbeitet. Was das ganz genau soll, weiß ich nicht, aber am Ende läuft das Zeug durch eine Art Mühle. Den Raum darf man auch nur in einem kompletten Schutzanzug betreten. Ziemlich blöde Arbeit, weil es da so heiß ist, dass man unter dem hellgrünen Anzug am besten nichts drunter hat. Und trotzdem schwitzt man wie ein Schwein. Aber damit ist der ganze Prozess hier im Werk schon abgeschlossen. Am Ende wandert das fertige Pulver in Tonnen, die man dicht abschließen muss. Das wird dann irgendwo anders weiterverarbeitet. Gelagert wird alles erst mal ganz oben unter dem Dach. Das mach ich auch nicht so gern, weil es da oben doch ziemlich unheimlich ist. Sieht ein bisschen so aus, wie in einem Atommülllager. Nur dass die Tonnen aus fester Pappe sind und nicht gelb mit Atomzeichen drauf. Aber es gibt da oben nur so ein komisches Licht, was besonders in der Nachtschicht echt schräg ist.
    So, alles abgecheckt, Arbeit vorerst erledigt, langsam muss ich mich mal bei den anderen blicken lassen. Wir haben ja immer zu dritt Schicht. Werner zählt da glücklicherweise nicht zu. Der sitzt ohnehin die meiste Zeit im Chefbüro, wirft ab und zu einen Blick auf die Monitore, ob alles in Ordnung ist, und chattet den Rest der Zeit. Kann mir nur recht sein, solange er uns hier unten in Ruhe lässt.
    „Hi“, sage ich, als ich in den kleinen Flur trete und Vitto links im Raucherraum sitzen sehe.
    Vitto ist ein uralter Italiener, der kaum redet. Also nickt er mir nur zu, während er kräftig an seiner dunklen Zigarette zieht. Dann beugt er sich wieder über die Zeitung. Da ich ihn schon kenne, weiß ich, dass dieses Nicken quasi einer überschwänglichen Umarmung gleichkommt.
    Neugierig schaue ich auf den Schichtplan: Hayo, Vittorio, Finn, Benjamin .
    „Wer ist denn Benjamin?“, frage ich.
    „Student“, antwortet Vitto am Zigarettenstummel vorbei, ohne auch nur aufzusehen.
    „Ah, also sind wir zu viert?“
    „Mmh“, kommt die Zustimmung.
    „Ja, ich weiß, blöde Frage. Ich schätze, die anderen sind drüben. Ich geh mal gucken.“
    „Mmh“, macht Vitto erneut und ich überlasse ihn seiner konzentrationsraubenden Meinungsbildung.
    Zumindest scheine ich eine gute Schicht erwischt zu haben. Vitto redet nicht viel, macht aber seine Arbeit grundsätzlich selbst. Was andere machen interessiert ihn nicht sonderlich. Hayo ist ebenfalls in Ordnung. Er hat noch ein paar Jahre vor sich und ist wohl der Einzige, der hier die

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