Der Schichtleiter
Zeitungslektüre beschäftigt.
„Ist Werner schon da?“
„Oben“, unterbricht Hayo kurz seinen Bericht.
Ich nicke und verlasse den Aufenthaltsraum. Meine Schicht hat zwar gerade begonnen, aber die ersten Arbeitsschritte sind erst in einer halben Stunde nötig. Genug Zeit also, dem Chef mal ein vertrauliches Gespräch abzuringen. Ich bin mir sicher, dass er für mich ein offenes Ohr hat, da er doch sonst immer so auf Nähe steht. Mir wird ganz komisch, wenn ich auch nur an seinen Schwitzarm denke, den er mir sicherlich über die Schulter legen will.
Ich klettere die Außenleiter in den ersten Stock hoch. Manchmal kommt mir das Gebäude eher wie ein Turngerät für Kinder vor. Überall kann man hoch und rein. Nur der Aufenthaltsraum ist völlig abgeschlossen, sodass man immer raus muss. Aber ansonsten gibt es tausend verschlungene Pfade und zahllose grüne Metalltüren. Schon ein irres Ding, so eine Chemiefabrik.
Das Chefbüro ist noch mal drei Stufen über dem Boden. Durch das kleine Fenster hat Werner alles im Überblick. Eigentlich total unsinnig, weil der Hauptakt ja im Erdgeschoss abläuft.
Ich klopfe an die Tür.
„Ja!“, brüllt der Kerl und ich habe schon jetzt keine Lust mehr, ihm überhaupt was zu erklären. Am liebsten würde ich mich einfach wieder davonschleichen. Hat sich halt jemand einen Scherz erlaubt. Aber ich kann nicht. Ich hab einen Plan und den muss ich umsetzen. Ganz wohl ist mir nicht dabei. Tatsächlich komme ich mir sogar ziemlich unfair vor. Ich versuche, mir noch mal Bennys blöde Sprüche und die ständigen Anmachversuche ins Gedächtnis zu rufen. Der Typ ist ein Arschloch! Egal, was ich nachts von ihm träume – und er hat mich da ja nicht mal küssen wollen …
„Jaa!“ Werner legt an Lautstärke zu.
Ich drücke die Tür auf und trete ein. Sofort bleibe ich überrascht stehen. Wie immer sitzt der Schichtleiter auf seinem abgenutzten Bürostuhl hinter dem Schreibtisch. Rechts der Computermonitor, links Telefon und Fax und ihm gegenüber an einem weiteren Schreibtisch, auf dem allerhand Unterlagen liegen, hockt – Benny.
„Guten Morgen“, sagt der auch gleich und ich sehe in seinen Augen sowas wie Belustigung und Verachtung. Warum habe ich plötzlich das Gefühl, dass er genau weiß, was ich vorhabe?
„Oh, ähm – störe ich?“
„Nein“, sagt Werner, „wir reden gerade eh über dich. Setz dich!“ Er deutet auf einen klapprigen Besucherstuhl.
Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich nicht doch lieber schnell die Flucht ergreifen soll. Geht natürlich jetzt nicht mehr. Ich setze mich vorsichtig.
„Ähm, worüber – also …“ Ich breche meine wirre Frage ab, weil Benny mich mit einer Genugtuung anschaut, die mir glatt die Sprache verschlägt.
Werner räuspert sich. „Es geht darum, dass sich Benny über dich beschwert hat.“
„Über mich?“ Ich bin sofort wieder auf den Beinen. „Was gibt es denn …“
„Ruhig! Setz dich schön hin! Wir müssen mal ein ernstes Wörtchen miteinander reden!“, unterbricht mich Werner.
„Nee, ich beruhige mich gar nicht! Ich will wissen, was der Arsch hier über mich erzählt!“
„Ich habe ihm gesagt, dass du mich ständig anmachst“, mischt sich Benny ein und grinst herausfordernd.
„Was?“ Ich möchte am liebsten direkt auf den Kerl losgehen, doch plötzlich steht Werner neben mir und drückt mich auf den Besucherstuhl zurück.
„Ruhig! Wir wollen schön ruhig bleiben! Nicht frech werden, Bürschchen!“
Ich kann mich dennoch nicht beherrschen: „Du bist so ein Arschloch, Benny, weißt du das?“
„Hallo?“ Benny schüttelt den Kopf. „Wer hat mich denn bitte heimlich gefilmt?“
„Ich hab dich nicht …“ Ich korrigiere mich schnell. „Ich wollte nur einen Beweis, dass du hier in der Anlage herumwichst!“
„Na los, dann zeig doch mal deinen Beweis.“ Benny grinst so unverschämt, dass ich ihm ohne Ende in die Fresse schlagen will.
„Gern!“ Ich ziehe mein Handy heraus.
Werner hält unverzüglich die Hand auf. „Her damit! Du weißt genau, dass Handys verboten sind! Ich könnte dir sofort ‘ne Abmahnung schreiben!“
Benny lacht.
„Ich hatte das Handy dabei, um …“
„Er hat mich gezwungen, für ihn zu strippen! So sieht’s aus!“
Ich lache hilflos auf. „Das ist ja wohl …“
„Ruhe!“, brüllt Werner dazwischen. „Ihr zwei Schwuletten haltet jetzt mal die Fresse!“
Tatsächlich sind Benny und ich still. Ich bin von der Wortwahl meines Chefs geschockt. Schwuletten .
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