Der Schimmer des Ledger Kale
Kuckuck bist du?«
12
Sarah Janes Vater stand in der Tür, in der einen Hand einen Gehstock mit silberner Spitze, in der anderen ein schweres, rot-weißes Zwangsvollstreckungsschild. Zu seinem gelben Schutzhelm mit dem Cabot -Logo drauf trug Mr Cabot einen Anzug im Western-Stil. Mit düsterer, undurchdringlicher Miene blockierte er den einzigen Ausgang des Zimmers.
Ein schlecht gelaunter Cabot ist schlecht für Sundance , hatte der Sheriff zu Onkel Autry gesagt. Ein schlecht gelaunter Cabot ist schlecht für uns alle . Ein unheimliches Rot, ähnlich dem des Zwangsvollstreckungsschildes, überzog Mr Cabots Gesicht, während sich sein Blick förmlich in mich hineinbohrte. Sarah Jane hatte er noch nicht ein Mal angesehen. Es stimmte den Mann offenbar nicht allzu froh, in seinem Arbeitszimmer einen fremden Jungen vorzufinden, der sich mit seiner Tochter unterhielt. Das Rot seiner Wangen wurde allmählich zu einem tiefen, gefährlich aussehenden Violett, woraus ich schloss, dass es mir soeben gelungen war, Noble Cabot schlechte Laune zu bereiten.
Mit einem lauten Scheppern ließ er ein Ende des Schildes auf den Boden fallen und lehnte es gegen den Türrahmen.
»Sarah Jane, geh auf dein Zimmer«, befahl er. »Ich hab dir schon mal gesagt, dass du hier drinnen nichts verloren hast.« Mr Cabots Worte waren an seine Tochter gerichtet, doch sein Blick ruhte weiter auf mir. Sarah Jane lief rot an.
»Aber Daddy …!«
»Tu, was ich dir sage, Sarah Jane!« Ohne dass hier ein Schimmer im Spiel war, übte Mr Cabots Stimme die gleiche Macht auf Sarah Jane aus wie Moms Stimme auf mich. Ehe ihr Vater noch etwas sagen konnte, floh Sarah Jane an ihm vorbei aus dem Zimmer, wobei sie das Schild umstieß. Dann stapfte sie die Treppe hinauf. Oben schlug sie eine Tür mit solcher Wucht zu, dass das gesamte Haus so heftig erbebte, wie es sonst nur mein Schimmer erreicht hätte. Mr Cabot verzog keine Miene. Er starrte mich einfach immer nur weiter an.
»Äh … ich wollte gerade gehen.« Einmachglas hin oder her, es wurde für mich Zeit zu verschwinden. Meinerseits über das Zwangsvollstreckungsschild stolpernd versuchte ich an Mr Cabot vorbeizuschlüpfen. Doch der hob – wusch – den Stock und hielt mich auf.
»Nicht so fix, junger Mann.«
In meine Handflächen kroch ein verräterisches Kribbeln. Ich musste zusehen, dass ich schnell aus dem Haus kam. Überschallschnell. Ich ballte die Fäuste und konzentrierte mich auf einen Punkt auf dem Fußboden zwischen mir und Mr Cabot.
Über uns öffnete Sarah Jane die Tür zu ihrem Zimmer und schlug sie – KRAWUMM! – wieder zu und noch mal – KRAWUMM! KRAWUMM! KRAWUMM! Wie um alle daran zu erinnern, dass sie nicht etwa verschwunden war, nur weil sie sich oben in ihrem Zimmer aufhielt.
»Du! Wie heißt du?«, fragte Mr Cabot wütend. »Zu wem gehörst du?«
Ich biss mir auf die Zunge. Meine Hände fingen – von brodelnder, aufgestauter Schimmerenergie getrieben – zu zittern an, und mein Schädel brummte, als trüge ich einen großen runden Bienenstock auf den Schultern. Nach dem, was mit der Scheune meines Onkels passiert war, wusste ich, dass das Haus der Cabots jede Sekunde aufstöhnen und ächzen und dann in sich zusammenfallen konnte. Ich wusste es sogar mit furchtbarer, schrecklicher, Übelkeit erregender Gewissheit.
Maximal ein dreimaliges Ticken der Krokodiluhr trennte mich noch von einem Verstoß gegen die Familienregel; ich war schon bereit, mein Geheimnis zu lüften und zu rufen: »Wenn ich nicht sofort gehe, lege ich Ihr Haus in Schutt und Asche!«, als die Türklingel ebenso mich vor Mr Cabot rettete wie Mr Cabots Haus vor mir.
Ich holte tief Luft und lauschte, als die Haushälterin die Tür öffnete. Einen Moment später stand sie hinter Sarah Janes Vater und betrachtete stirnrunzelnd den gefährlich schief hängenden Büffelkopf an der gegenüberliegenden Wand.
»Was gibt’s, Hedda?«, fragte Mr Cabot, ohne sich umzudrehen.
»Mr O’Connell ist an der Tür, Sir«, sagte Hedda und sah mich abschätzig an. »Er sagt, er sucht seinen Neffen.«
Die Libellen , schoss es mir durch den Kopf. Autrys Insekten-Flugstaffel war zur Ranch aufgebrochen, sobald ich das Haus der Cabots erreicht hatte. Während ich die Tiere vorher als Plage empfunden hatte, war ich ihnen jetzt dankbar dafür, dass sie meinen Onkel so schnell hergeführt hatten.
»O’Connell?«, wiederholte Mr Cabot verächtlich und drehte sich zur Haushälterin um, als hätte sie ein schmutziges
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