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Der Schimmer des Ledger Kale

Der Schimmer des Ledger Kale

Titel: Der Schimmer des Ledger Kale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Law
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der sicheren Abgeschiedenheit des Schrottplatzes schaffte ich so was. Aber was, wenn mich hier jemand beobachtete? Ein Nachbar … irgendwer, der vorbeifuhr … Hedda, die zwischen zwei Sendungen die Veranda fegen wollte …
    »Komm schon, Ledge. Als du das letzte Mal hier warst, hast du über so was auch nicht nachgedacht«, sagte ich laut.
    Dann dachte ich: Vielleicht hätte ich das aber tun sollen .
    Nachdem ich mich vergewissert hatte, dass gerade keine Nachbarn draußen waren, um ihren Rasen zu bewässern oder ihren Hund auszuführen, holte ich tief Luft und trat auf die Eisenstäbe zu. Dann schaute ich zu Sarah Janes Fenster in neun Metern Höhe und schluckte meine Angst hinunter. Um einen stabilen Stand zu haben, ging ich in die Hocke. Ich stützte meine Finger zwischen mir und dem Stapel gespreizt auf den Boden, wie vor dem Start eines Hundertmeterlaufs.
    Die Erinnerungen an einstürzende Scheunen und abfallende Stoßstangen verbannte ich aus meinem Kopf, schloss die Augen und stellte mir vor, die Eisenstäbe würden sich vom Boden anheben und zusammenfügen; sich verbiegen, wo es notwendig war, oder miteinander verschmelzen. Meine Hände kribbelten und meine Nerven pulsierten, und die ganze Zeit über summte das Eisen und in meinem Mund breitete sich der inzwischen vertraute metallische Geschmack aus.
    Klirren und Klappern erfüllte die Luft, aber leise. So, als wüssten die Metallstangen, dass sie keinen Lärm machen durften.
    Ich fügte Sprosse auf Sprosse.
    Für das Geländer schob ich eine Stange wie ein Teleskop immer weiter auseinander.
    Das Krachen und Scharren und Knirschen und Piepen der Abrissfahrzeuge unten in der Stadt übertönte locker die Geräusche, die ich beim Bauen erzeugte. Als ich die Augen schließlich wieder aufschlug, war ich immer noch allein. Heddas Fernseher plärrte weiter vor sich hin. SJs Fenster war nach wie vor geschlossen.
    Ich stand auf und streckte mich; ein wohliges Gefühl der Zufriedenheit rückte an die Stelle meiner Zweifel. Vom Boden zu meinen Füßen bis nach oben zu Sarah Janes Fenstersims wand sich spiralförmig wie ein DNA-Strang eine verrückte Leiter empor.
    Ich hatte alles gut durchdacht. Mein Gebilde war fertig. Jetzt zögerte ich nicht mehr. Ich testete nicht erst, ob die Sprossen mein Gewicht aushielten, und rüttelte nicht erst an der Leiter, um zu sehen, ob sie nicht doch wieder auseinanderfiel. Stattdessen kletterte ich zügig hinauf, zuversichtlich, dass mein Schimmer intakt war und das Werk mein Gewicht aushielt.
    Sachte klopfte ich an Sarah Janes Fenster. Als sie es öffnete und meine improvisierte Konstruktion erblickte, guckte sie groß – aber nicht ungläubig – und lächelte.
    Sie trug ihre Haare offen. Wie reines, glänzendes Weißgold flossen sie aus dem Fenster und die Leiter hinab, und Sarah Jane sah aus wie Rapunzel. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich, da ich seit über drei Wochen nur im Fluss gebadet hatte, wahrscheinlich nicht gerade den besten Eindruck machte.
    Ich fuhr mir mit den Fingern durch die Haare. Klar. Natürlich voller Dreck. Aber SJ schien das nichts auszumachen.
    »Du hast meinen Notruf also empfangen, was?«, sagte sie grinsend. Statt einer Antwort zog ich ihren Brief aus der Tasche und wedelte damit herum.
    »Heißt das, du vergibst mir?«, fragte sie.
    Ich zuckte die Achseln und war froh, keine Spur von dem Zaunpfahlkratzer mehr auf ihrem Arm zu sehen. »Ich denk noch drüber nach.«
    Sarah Jane spähte wieder über den Fenstersims nach unten. »Dann denk schnell, Cowboy. Wir müssen dringend los.«

29
    »Dein Timing ist perfekt, Ledge!«, sagte Sarah Jane, band ihre Haare zusammen und flitzte hinter mir die Leiter herunter, bevor Heddas Fernsehsendung zu Ende war. »Daddy überwacht die Abrissarbeiten, deshalb wird heute niemand in der Firma sein. Also kommen wir ganz leicht in sein Büro.«
    SJ zog mich vom Haus weg und durch Straßen am Rand von Sundance. So sorgte sie dafür, dass wir einen großen Bogen um die Baustelle machten. Sie lief in einem schnellen Trab, doch ich konnte leicht mithalten. Und sie brachte mich nur zweimal fast zu Fall.
    Wie sie gesagt hatte, war das Firmengebäude von Cabot – Ankauf und Abriss leer. Und es war verschlossen. Ich sollte Schmiere stehen, während SJ die Türen überprüfte, aber die meiste Zeit stand ich einfach nur da, starrte auf die Tankstelle gegenüber und auf den immer noch ziemlich mit Baggern, Lastwagen und Gabelstaplern vollgestellten Firmenhof und versuchte

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