Der Schlangenmensch
Erschrocken hielt er den
Atem an.
Der Fahrer des Kombis war
ausgestiegen. Langsam kam er zum Büro.
Dürrmeier erkannte ihn sofort.
Dieses zerbeulte Gesicht! Diese vierschrötige Gestalt! Dieses flachsblonde
Haar, das über die Ohren wuchs und bis in den Kragen!
Es war der Kerl, der ihn
gestern abend in der Kneipe beobachtet hatte. Er mußte es auch gewesen sein,
der dann versucht hatte, ihn im Park zu überfallen.
Was will der hier? dachte
Dürrmeier. Kommt er zufällig? Und wenn er mich erkennt, ehe ich die Polizei
verständigen kann! Zum Henker, was ist heute nur los? Soviel Aufregung an einem
Tag!
Er zögerte. Ein unbehagliches
Gefühl beschlich ihn. Als käme Bedrohliches auf ihn zu.
In diesem Moment wurde die
Bürotür geöffnet. Der Blonde trat ein.
„Hallo, Meister!“ plärrte
erforsch. „Ich...“
Dann stockte er.
Dürrmeier hatte sich ihm zu
gewandt. Über den Schreibtisch starrten sie sich an.
Gerlich sah sofort, wen er vor
sich hatte. Sein Beinahe-Opfer von gestern abend! Verdammt!
Er glotzte mit offenem Mund.
Der Ausdruck auf seinem zerbeulten Gesicht verriet alles.
Aber Dürrmeier sah nicht das,
sondern die blutrote Schramme am Hals. Hatte ihn dieser Tarzan dort noch
erwischt? Sicherlich! Und dazu noch die offensichtliche Verblüffung von diesem
flachsblonden Kerl! Nein, es gab keinen Zweifel mehr.
Beherzt packte er den schweren
Schraubenschlüssel, der auf der Fensterbank lag.
„Rühren Sie sich nicht von der
Stelle!“ rief er. „Ich habe Sie erkannt. Ich weiß, wer Sie sind! Die Polizei
wird sich freuen.“
Mit der linken Hand griff er
zum Hörer, den er sich rasch zwischen Schulter und Ohr klemmte.
Als er die Nummer des
Überfallkommandos wählen wollte, stammelte Gerlich: „Kumpel, um Himmels willen!
Mach keinen Mist! Nicht die Polizei. Du weißt ja nicht...Ich bin doch hier,
weil... Es sollte ‘ne Überraschung sein. Draußen ist ein alter Freund von dir.“
Dürrmeier ließ den Finger in der
Wählscheibe. „Wer?“
„Sigi Malowitz wartet im
Wagen.“
Gequält verzog Dürrmeier das
Gesicht. „Der und mein Freund? Du spinnst wohl! Ich habe gehofft, den nie
wieder zu sehen. Sicherlich ist er der Polizei genau so willkommen wie du.“
„Halt!“ rief Gerlich. „Sigi hat
dir was zu sagen. Hör es dir wenigstens an.“ Leiser setzte er hinzu: „An deiner
Stelle wäre ich vorsichtig. Sigi kann verdammt gewalttätig werden, wie du
wahrscheinlich weißt.“
„Ja, ich weiß.“
Dürrmeiers Blick glitt zu den
beiden Kleinen, die im Sandkasten buddelten. Hinter dem Küchenfenster sah er
die schmale Gestalt seiner Frau. Wenn Malowitz ihr, den Kleinen oder Anke was
antat... Dem war jede Gemeinheit zuzutrauen.
Entmutigt sank er auf den
Schreibtischstuhl. Er legte den Schraubenschlüssel beiseite.
„Also, gut“, murmelte er.
„Wußte ich doch: Du würdest
Vernunft annehmen!“ lärmte Gerlich. Sein verkrampftes Gesicht entspannte sich.
„Wäre auch ein Jammer, wenn du dich um die Chance bringst. Was Sigi dir bietet,
ist toll. Und die Sache von gestern abend tut mir leid. Ich wußte ja nicht, wer
du bist.“
Er öffnete die Tür und rief:
„Sigi, er ist außer sich vor Freude, daß er dich wiedersieht.“
Davon spürte Malowitz freilich
nichts, als er grinsend in das Büro kam.
„Idiot!“ zischte er Gerlich zu.
Dann wandte er sich an Dürrmeier. „Hallo, Günther! So sieht man sich wieder
nach vielen Jahren. Bist jetzt Familienvater, wie? Wohl ein anstrengender Job.
Besonders gesund siehst du nicht aus. Aber...“
„Diese Ratte“, unterbrach
Dürrmeier ihn. Dessen rechter Zeigefinger wies auf Gerlich. „Diese Ratte hat
gestern abend versucht, mich im Klostertaler Park zu überfallen.“
„Was?“ Malowitz sah von einem
zum andern. Ungläubig weiteten sich seine Glotzaugen. „Herbert! Du hast
ausgerechnet ihn...“ In der nächsten Sekunde patschte er sich beide Hände auf
die Schenkel. Er bog sich vor Lachen. „Das gibt’s doch nicht! Nee! Ihr kennt
euch also schon. Und ausgerechnet so! Leute, wenn das kein gutes Vorzeichen
ist! Wir stehen, ich merke es schon, unter einem strahlenden Glücksstern.“
So plötzlich wie seine
Heiterkeit aufgeflackert war, erlosch sie auch wieder. Er setzte sich auf den
zweiten Stuhl des Büros.
„Hör genau hin, Günther! Ich
bin froh, daß du noch so schlank bist wie früher. Guiseppe, der
Schlangenmensch, hält auf Taille, wie? Sehr gut! Denn ich brauche dich für
einen großartigen Coup. Als Schlangenmensch. Mit der
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