Der Schlangenmensch
abermals.
„Kleinen Augenblick, Graf
Falkenstein“, sagte Karl rasch. „Ich übergebe an unseren Mitarbeiter.“
Tarzan mußte um Gaby
herumfassen, um den Hörer zu kriegen. Sie geriet sehr dicht an seinen roten
Pullover, was ihn beinahe aus dem Text gebracht hätte.
Aber dann konzentrierte er sich
ganz auf den Grafen, der sein eigener Schloßverwalter war.
„Peter Carsten“, sagte er. „Ich
bin Reporter der Schülerzeitung, Graf Falkenstein. Bei einer Umfrage hier an
der Schule haben wir kürzlich Themen getestet. Dabei ergab sich, daß bei den
Altersgruppen zwölf bis neunzehn ein brennendes Interesse besteht für den
Alltag von adligen Schloßbesitzern. Erstaunlicherweise ist es nicht nur die
historisch interessierte Jugend, die Aufschluß haben möchte über Fragen wie:
Wie lebt der heutige Adel? Welche Ämter hat er inne? Welche politische
Funktion? Wie wird ein Schloß wirtschaftlich unterhalten? Welche
Schwierigkeiten sind zu meistern? Wie werden Traditionen gepflegt? Wie ist das
Selbstverständnis des Adels? Ich wäre Ihnen sehr verbunden, Graf Falkenstein,
wenn Sie mir etwas Ihrer kostbaren Zeit opfern würden — für ein kurzes
Interview.“
Mit offenem Mund hatte Klößchen
zugehört.
Gaby kam dicht mit dem Kopf an
Tarzans Ohr, obwohl er den Hörer so hielt, daß alle den näselnden Grafen
verstehen konnten.
„Grundsätzlich wäre ich
bereit“, ließ sich der Graf vernehmen. „Allerdings unter einer... äh...
Bedingung. Ich erwarte wohlmeinende Berichterstattung. Und möchte den Artikel
lesen, bevor er in Druck geht.“
„Beides kann ich Ihnen
versprechen“, sagte Tarzan.
„Schön, schön. Und wann dachten
Sie? Mir würde es heute passen.“
„Sehr liebenswürdig. Ich kann
um 15 Uhr bei Ihnen sein.“
Tarzan bedankte sich noch. Dann
war das Gespräch beendet.
„Und alle um 15 Uhr!“ freute
sich Klößchen. „Haben wir ein Glück!“
„Aber zur Arbeitsstunde sind
wir niemals rechtzeitig zurück“, meinte Tarzan. „Wer ist heute EvD?“
„Plümmer!“
„Noch ein Glücksumstand! Der
gibt uns frei — vorausgesetzt, wir machen die Hausaufgaben am Abend.“
„Versprechen können wir’s ja“,
meinte Klößchen.
Sie beschlossen, sofort zu ihm
zu gehen, was sie dann auch taten.
Gaby und Karl riefen inzwischen
bei Anke an.
Sie hatte noch Fieber und würde
einige Tage im Bett bleiben müssen. Voller Spannung hörte sie sich an, was die
TKKG-Bande inzwischen erfahren hatte — und für heute nachmittag plante.
Als Gaby kurz vor 15 Uhr Jeskes
Villa erreichte, war sie ein bißchen ängstlich. Aber zugegeben hätte sie das
nie.
Sie schob ihr Rad durch die
Einfahrt und stellte es an die Wand der geöffneten Garage.
Der Rolls-Royce hielt seinen
polierten Kühlergrill ins Sonnenlicht. Gaby hatte das Gefühl, sie werde
beobachtet. Aber im Wagen saß niemand.
Sie ging zur Haustür, die schon
mehr ein Portal war. Durch ein riesiges Blumenfenster konnte sie in ein
luxuriöses Kaminzimmer blicken.
Es gab keine Klingel, aber
einen bronzenen Türklopfer. Sie betätigte ihn schüchtern und hielt sich dann an
ihrer Mappe fest, in der Notizblock und Kugelschreiber waren.
Die Tür wurde geöffnet.
Jeskes Puddinggesicht lächelte.
Er spitzte den Mund, als wollte er in die Luft küssen.
„Entzückend“, flötete er. „So
ein junges Fräulein. Sie sind bestimmt die Reporterin. Fräulein Glöckner, nicht
wahr?“
Gaby nickte. „Guten Tag, Herr
Jeske. Sie brauchen mich nicht zu siezen. Ich bin gerade erst 13 gewesen. Daß
man uns förmlich anredet, ist auch in der Schule nicht üblich. Vielen Dank,
übrigens, daß Sie Zeit für mich erübrigen. Ich heiße mit Vornamen Gabriele.“
Daß der Gaby sagt, dachte sie,
würde mir nicht passen. Das wäre eine Vertraulichkeit, die dem Kerl nicht
zukommt. Himmel, wie riecht der? Hat er in Kölnisch Wasser gebadet?
Jeske war heute in Hellgrün und
Rosa gekleidet. Er hatte wässerige Augen. Während er unentwegt redete und mit
den Händen fuchtelte, verschlang er Gaby mit seinen Blicken.
Sie wurde in das Kaminzimmer
geführt, wo es betäubend nach Räucherkerzen roch. Überall auf Regalen standen
Statuetten (kleine Standbilder) ägyptischer Herkunft.
Jeske fragte Gaby, was er ihr
anbieten dürfe. Doch sie lehnte ab. Das enttäuschte ihn. Er hatte nämlich eine
Flasche Champagner und zwei Gläser bereitgestellt.
„Wenn du gestattest, Gabriele“,
säuselte er. „Ich bin etwas durstig.“ Er schenkte sich ein.
Während der Mittagszeit
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